Die Dornenvögel
vorlieb nehmen mußten, weil an diesem Tag sonst nichts weiter geöffnet blieb. Arme Meggie! Sie war nervös und fühlte sich beklommen.
»Woher soll ich das wissen?« sagte Luke mit einem Seufzen. Seine Einsilbigkeit hatte in diesem Fall einen besonderen
Grund. Ihn plagte ganz einfach Hunger. Da es Sonntag war, konnten sie nicht einmal eine Tasse Tee bekommen, geschweige denn irgendeinen Bissen. Erst am Montagmorgen, im Zug nach Brisbane, würden sie wieder Gelegenheit haben, etwas zu essen und zu trinken. Dann die Ankunft in Brisbane, im Südbahnhof. Quer durch die Stadt ging es zum Roma- Street-Bahnhof. Und als sie dann in den Cairns-Expreß stiegen, entdeckte Meggie zu ihrem Schrecken, daß Luke nicht etwa ein Schlafwagenabteil gebucht hatte, sondern zwei einfache Sitzplätze in der 2. Klasse.
»Luke, wir sind doch nicht knapp an Geld!« sagte sie müde und verdrossen. »Falls du vergessen haben solltest, zur Bank zu gehen, ich habe hier in meinem Portemonnaie hundert Pfund, die Bob mir gegeben hat. Warum hast du uns denn kein Schlafwagenabteil erster Klasse besorgt?«
Er war verblüfft. »Aber bis Dungloe sind’s doch nur drei Tage und drei Nächte! Warum Geld für ein Schlafwagenabteil ausgeben, wo wir doch beide jung, gesund und stark sind? Das Sitzen hier im Zug bringt dich schon nicht um, Meghann! Wird wohl langsam Zeit, daß du dir was klarmachst - du hast einen einfachen Arbeiter geheiratet und nicht so einen verdammten Squatter!«
Meggie ließ sich auf den Fensterplatz sacken, den Luke für sie ergattert hatte, und drehte dann, das zitternde Kinn auf die Hand gestützt, den Kopf zum Fenster. Luke sollte ihre Tränen nicht sehen. Wie zu einem unmündigen Kind hatte er eben zu ihr gesprochen. War sie das etwa in seinen Augen? Ein Funke Aufsässigkeit begann sich in ihr zu regen, aber mehr wurde es auch nicht, denn ihr Stolz, ihr geradezu unbeugsamer Stolz ließ es nicht zu, daß sie sich mit ihm zankte. Das wäre entwürdigend gewesen. Statt dessen versuchte sie, sich in Gedanken vor Augen zu führen, daß sie jetzt die Frau dieses Mannes war, er sich jedoch daran erst gewöhnen mußte. Und das brauchte seine Zeit. Nach und nach würde sich alles finden.
Sie würde ihm das Essen kochen, seine Sachen flicken, seine Babys zur Welt bringen, ihm eine gute Frau sein. Wieviel Hochachtung hatte Daddy doch für Mum gehabt, wie sehr hatte er sie bewundert und geliebt. Man mußte Luke Zeit lassen.
Ihr Ziel war eine Stadt namens Dungloe, nur etwa achtzig Kilometer von Cairns entfernt. Und Cairns selbst war der Endpunkt dieser Strecke, die an der Queensland-Küste entlanglief. Nahezu zweitausend Kilometer galt es zurückzulegen, und das in einem Abteil, wo kein Platz unbesetzt blieb, wo man sich nie hinlegen oder auch nur ein wenig ausstrecken konnte, wo man immerzu durchgeschüttelt und durchgerüttelt wurde. Das Land hier war zwar weit stärker besiedelt als jenes um Gilly, auch wirkte die Landschaft abwechslungsreicher, doch Meggie konnte kein Interesse dafür aufbringen.
Ihr Kopf schmerzte, ihr Magen rebellierte, und die Hitze war viel, viel schlimmer, als sie das je in Gilly erlebt hatte. Ihr schönes rosafarbenes Seidenkleid, erst Hochzeitsstaat, nun Reisedreß - wie sah es jetzt aus? Schmutzig von dem Ruß, der durch die Fenster hereingeweht wurde. Außerdem klebte sie nur so vor Schweiß, und es schien, daß davon auch nicht ein einziger Tropfen verdunsten wollte. Doch schlimmer als dieses körperliche Unbehagen war etwas anderes. Es fehlte nicht viel daran, daß sie Luke zu hassen begann. Ihm schien das alles nichts auszumachen. Er wirkte nicht im mindesten ermüdet von der Reise. Entspannt und mit unverkennbarem Vergnügen unterhielt er sich mit zwei Männern, die nach Cardwell wollten. Nur ein- oder zweimal stand er zwischendurch auf, offenbar als Reaktion auf Rufe, die durch die Wagenfenster hereinschallten: »Zeitung! Zeitung!«
Er nahm eines von den Blättern, die sie noch von Brisbane her hatten, und rollte es zusammen. Dann schleuderte er es durchs Fenster, einer Gruppe von Männern zu, abgerissenen Gestalten mit Eisenhämmern.
»Streckenarbeiter«, erklärte er Meggie beim ersten Mal. »Sind ausgehungert nach Neuigkeiten.«
Sonst kümmerte er sich überhaupt nicht um sie, warf ihr kaum einmal einen Bück zu. Er schien als selbstverständlich anzunehmen, daß sie sich genauso behaglich und zufrieden fühlte wie er und fasziniert war von der Küstenebene. Doch Meggie saß nur, starrte aus dem
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