Die Dornenvögel
unter gazeartigen Zelten.
Arne hielt Luke zurück. »Zeig mal deine Hände.« Er betrachtete das blutende Fleisch: Schnittwunden, Stiche, Blasen. »Hör zu«, sagte er, »säubere sie vorsichtig und tu dann diese Salbe hier drauf. Wenn ich dir einen Rat geben darf: Reibe sie jeden Abend mit Kokosöl ein. Du hast große Hände. Wenn dein Rücken die Arbeit aushält, wirst du einen guten Schnitter abgeben. In einer Woche bist du abgehärtet, da wird dann nichts mehr so leicht wund.«
Jeder Muskel in Lukes prachtvollem Körper tat weh, doch das spürte er nicht. Was er fühlte, waren Schmerzen, die ihn wie glühende Eisenfesseln umspannten. Nachdem er seine Hände gesäubert, gesalbt und mit Tuchfetzen umwickelt hatte, streckte er sich auf seinem Bett aus, zog das Moskitonetz herab und schloß die Augen.
Was ihn hier erwartete, hatte er sich nicht einmal träumen lassen - nun, nicht einmal ein Quentchen seiner Substanz würde er dann verschwendet haben, verschwendet an Meggie. Unversehens war sie zu einer lästigen und höchst unwillkommenen Erinnerung geworden, zu etwas, das man nach Möglichkeit besser aus dem Gedächtnis verdrängte. Eines wußte er mit Sicherheit: Solange er Zuckerrohr schnitt, blieb für sie an Energie bestimmt nichts übrig. Genau wie Arne es vorausgesagt hatte, brauchte Luke eine Woche, um sich an die Härte dieser Arbeit zu gewöhnen und um das tägliche Acht- Tonnen-Minimum zu schaffen, das Arne von jedem Mitglied seiner Gruppe verlangte. Dann setzte Luke sich ein neues Ziel, und dieses Ziel hieß: Arne übertreffen. Luke wollte den größten Anteil am Geld und, falls möglich, eine Partnerschaft. Noch wichtiger jedoch erschien ihm etwas anderes. Er wollte, daß man ihn mit genau solchen Blicken ansah wie Arne. Arne war so etwas wie ein Gott. Er war der beste Zuckerrohrschnitter in Queensland und damit wahrscheinlich auf der ganzen Welt. Wenn sie am Samstagabend in irgendeine Stadt fuhren, dann überschlugen sich die Männer dort fast, um Arne Schnaps und Bier zu spendieren, und die Weiber umschwirrten ihn. Sie glichen sich in vielem, Arne und Luke. Beide waren eitel, beide sonnten sich gern in weiblicher Bewunderung. Doch diese Bewunderung, die sie sich so gern gefallen ließen, war für beide auch die Grenze. Weiter ging es nicht, denn sie hatten den Frauen nichts zu geben; sie gaben all ihre Kraft dem Zuckerrohr. Für Luke besaß diese Arbeit eine Schönheit, auf die er sein ganzes Leben gewartet zu haben schien: auf die Schönheit im Verein mit der gnadenlosen Härte. Bücken, aufrichten; bücken, aufrichten; bücken, aufrichten; das war ein gleichsam ritueller Rhythmus, der ihn teilhaben ließ an einem Mysterium, von dem gewöhnliche Männer kaum etwas ahnten. Arne Swenson hatte es mit seinen Worten umschrieben: Wer sich hierbei überragend bewährte, gehörte zur Spitze in der besten Arbeitsgruppe, die es auf der ganzen Welt gab. Und voll Stolz konnte er den Kopf hochtragen, ganz gleich, wo er sich befand - in dem sicheren Wissen, daß von allen Männern, denen er begegnete, kaum einer auch nur einen Tag auf einem Zuckerrohrfeld durchhalten würde. Der König von England war keinen Deut besser als er, und wahrscheinlich hatte der englische König für Männer wie ihn nur Bewunderung übrig. Ärzte, Anwälte, Bürohengste und was nicht sonst noch - auf solche Leute konnte man nur voll Mitleid und Verachtung hinabblicken. Zuckerrohrschneiden in der Art des weißen Mannes, sich bis aufs letzte schindend, getrieben vom Hunger nach Geld: Eine größere Leistung gab es nicht und konnte es auch nicht geben.
Wenn er auf dem Rand seines Bettes saß und auf seine schwieligen Hände blickte, wenn er die noch immer wachsende Kraft seiner Armmuskeln spürte und seine langen braunen Beine sah, dann lächelte er. Ein Mann, der bei einer solchen Arbeit nicht nur nicht schlappmachte, sondern sie sogar liebte, der erst war ein Mann. Und unwillkürlich fragte er sich, ob wohl der König von England das von sich behaupten konnte.
Erst nach vier Wochen sah Meggie Luke wieder. Sonntag für Sonntag hatte sie sich die schweißglänzende Nase gepudert und sich ein hübsches Seidenkleid angezogen - auf Unterrock und Strümpfe verzichtete sie inzwischen wohlweislich, das war bei diesem Höllenklima denn doch zuviel.
Und dann wartete sie auf ihren Mann; vergeblich. Anne und Luddie Müller ließen kein Wort darüber fallen, sie beobachteten sie nur. Wie auf einer hellerleuchteten, doch völlig leeren Bühne
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