Die Dornenvögel
Das Geld würde auf der Bank bleiben. Was ihm fehlte, war die Fähigkeit - und zudem wohl auch die Geduld -, sich klarzuwerden, daß eine Frau nun einmal anders war als ein Mann, daß sie andere Bedürfnisse hatte als er, so wie er andere Bedürfnisse hatte als sie. Nun ja, es hätte schlimmer sein können, denn zumindest mit dem Job, den er ihr besorgt hatte, schien sie Glück zu haben. Anne
Müller schien eine wirklich freundliche und warmherzige Person zu sein. Ja, auf »Himmelhoch« würde sie sich soweit sicher wohl fühlen, nur - wie entsetzlich weit war es doch von Drogheda entfernt. Dieser letzte Gedanke stellte sich wieder ein, nachdem Anne sie durch das ganze Haus geführt hatte. Die beiden Frauen standen auf der Wohnzimmerveranda und blickten hinaus über das Anwesen von »Himmelhoch«. Über große Felder voll Zuckerrohr strich der Wind, das frische Grün der Pflanzen schien zu glänzen und zu glitzern, und über einen allmählich abschrägenden Hang glitt das Auge zu einem breiten Fluß, weitaus breiter als der Barwon, mit undurchdringlichem Dschungel an den Ufern. Jenseits des Flusses dehnten sich wieder Zuckerrohrfelder, giftgrüne Rechtecke, durchbrochen von Brachfeldern mit ihrem blutigen Rot, bis hin zum Fuß eines mächtigen Berges, und dort nahm wieder der Dschungel überhand. Hinter der Bergspitze erhoben sich noch weitere Gipfel und verblichen dann purpurfarben in der Ferne. Das Blau des Himmels war hier tiefer und intensiver als über Gilly, und alle Farben waren unglaublich satt und kontrastreich. »Das dort ist Mount Bartle Frere«, sagte Anne und deutete auf den vordersten Gipfel. »Fast zweitausend Meter über dem Meeresspiegel. Soll voller Erz sein, aber wegen des Dschungels, heißt es, läßt es sich nicht abbauen.«
Der schwere, träge Wind führte einen Geruch herbei, den Meggie sofort bemerkt hatte, als sie in Dungloe aus dem Zug gestiegen war. Wie von Verwesung und doch nicht von Verwesung, jedenfalls süß, unerträglich süß - etwas, das alles durchdrang und nie weichen wollte, so stark der Wind auch wehte.
»Was Sie riechen, ist Molasse«, sagte Anne, als sie Meggies geblähte Nasenflügel sah. Sie steckte sich eine Ardath- Zigarette an.
»Ist ja widerlich.«
»Ich weiß. Deshalb rauche ich auch. Aber bis zu einem gewissen Grad gewöhnt man sich daran, obwohl dieser Geruch, anders als andere Gerüche, nie ganz verschwindet. Tagaus, tagein ist er da, der Molassengeruch.«
»Dort am Fluß, diese Gebäude mit den schwarzen Schornsteinen, was ist das?«
»Das ist die sogenannte Mühle. Dort wird aus Zuckerrohr Rohzucker gewonnen. Was dabei übrigbleibt, ich meine das Zuckerrohr ohne Zucker, nennt man Bagasse. Beides, Rohzucker wie Bagasse, wird zur Weiterverarbeitung nach Sydney transportiert. Aus dem Rohzucker gewinnt man dann Molassen, sogenannten goldenen Sirup, braunen Zucker, weißen Zucker und flüssige Glukose. Die Bagasse dient als Material für eine Art Holzfaserplatte, wie man sie beim Bauen verwendet. Nichts wird vergeudet, absolut nichts. Und deshalb ist selbst in dieser Depression der Anbau von Zuckerrohr noch immer sehr profitabel.«
Arne Swenson war einsachtundachtzig groß, genauso groß wie Luke und genauso stattlich. Unter der dauernden Sonneneinwirkung hatte sich die Farbe seiner Haut in ein dunkles Goldbraun verwandelt, und sein strohblondes Kopfhaar glich einer ungebärdigen Mähne. Seine fein ausgeprägten Gesichtszüge glichen im Typ so sehr denen von Luke, daß sich leicht begreifen ließ, was man gar nicht so überaus selten fand: In den Adern so mancher Schotten und Iren floß auch skandinavisches Blut.
Luke hatte sich dem Klima inzwischen angepaßt. Wie die meisten Männer hier trug auch er jetzt Shorts. Er stieg zu Arne in dessen uralten Ford, eine Art Kleinlaster, und sie fuhren los. Arne hatte erklärt, daß seine Gruppe jetzt draußen bei Goondi arbeite, und Luke war voll gespannter Erwartung. Hinten auf der Ladefläche befanden sich sein Koffer und ein gebrauchtes Fahrrad, das er inzwischen gekauft hatte.
Die anderen Männer arbeiteten schon seit Sonnenaufgang, und als Arne mit Luke von der Baracke her kam, hoben sie nicht einmal den Kopf. Alle trugen Shorts und hatten dicke Wollsocken und hohe Schuhe an. Hüte aus Zelttuch schützten ihre Köpfe. Die Augen unwillkürlich verengend, starrte Luke die Männer wortlos an. Sie boten in der Tat einen sonderbaren Anblick. Von Kopf bis Fuß deckte sie ein Belag aus kohlschwarzem Schmutz, in den der
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