Die Dornenvögel
müssen, aber schließlich war es doch Klein-Meggies erster Schultag.«
Frank musterte seinen Vater überrascht, fast verblüfft. Es war das erste Mal, daß Paddy mit seinem ältesten Sohn sozusagen von Mann zu Mann sprach. Plötzlich empfand der Junge nichts von dem Groll, den er sonst gegen seinen Vater hegte. Er begriff, daß Paddy bei allem geradezu prahlerischen Stolz auf seine Söhne seine kleine Tochter dennoch am meisten liebte.
Als Frank jetzt lächelte, fand sich in seinem Lächeln nichts vom sonstigen Mißtrauen gegen seinen Vater. Er fühlte für ihn fast so etwas wie Zuneigung. »Sie ist doch ein prächtiges kleines Ding, nicht?« sagte er.
Paddy nickte abwesend, während er die schlafende Meggie betrachtete. Die braune Stute stülpte die Lippen vor, der Atem des Pferdes traf auf Meggies Gesicht. Sie begann sich zu bewegen, öffnete dann die Augen. Als sie neben Frank ihren Vater sah, setzte sie sich steil auf und starrte ihn beklommen an.
»Nun, Meggie-Mädchen, du hast einen schlimmen Tag hinter dir, nicht?« Paddy ging zu ihr und hob sie vom Heuhaufen hoch. Als ihm der Geruch ihres beschmutzten
Kleides in die Nase drang, hielt er unwillkürlich den Atem an. Doch dann zuckte er nur mit den Achseln.
»Ich habe Prügel bekommen, Daddy«, beichtete sie. »Na, wie ich Schwester Agatha kenne, war das bestimmt nicht das letzte Mal«, lachte er und setzte sie sich auf die Schulter. »Jetzt wollen wir erst mal sehen, ob Mum für dich zum Baden vielleicht heißes Wasser hat. Du riechst ja schlimmer als Mr. Jarmans Stall.«
Frank folgte beiden zum Ausgang und sah ihnen nach: zwei Rotschöpfe, die den Weg zum Haus hinaufwippten. Als er sich umwandte, sah er, daß ihn die braune Stute beäugte. »Also los, du alte Mähre«, sagte er und griff nach einem Halfter, »ich werde dich nach Hause reiten.«
Daß Meggie sich auf Schwester Agathas so makelloses Habit erbrochen hatte, erwies sich als Glück im Unglück. Zwar prügelte die alte Nonne Meggie regelmäßig, doch hielt sie dabei sicherheitshalber auf einen gewissen Abstand, was sowohl ihre Zielsicherheit als auch die Kraft ihrer Schläge wesentlich beeinträchtigte. Meggies Banknachbarin, die dunkle Schönheit, war die jüngste Tochter des Italieners, dem in Wahine das hellblaue Restaurant gehörte. Sie hieß Teresa Annunzio, und bald wurden sie und Meggie sehr enge Freundinnen. Als Teresas Zähne wuchsen und die Zahnlücken sich verloren, zeigte sich, daß sie in der Tat ein bildhübsches kleines Ding war. Meggie jedenfalls bewunderte sie sehr. In den Pausen spazierten beide engumschlungen auf dem Schulhof umher, ein Zeichen für die anderen, daß diese hier »beste Freundinnen« waren und für niemanden sonst verfügbar.
Einmal nahm Teresa in der Mittagspause Meggie mit zum Restaurant. Dort lernte sie dann die anderen Annunzios kennen, Teresas Eltern und ihre erwachsenen Geschwister. Wie sich zeigte, war man wechselseitig voneinander entzückt. Fand Meggie die Annunzios überaus anziehend wegen ihrer dunklen
Haare und der dunkelgetönten Haut, so erschien diesen Meggies goldener Schöpf unwiderstehlich, und das wunderschön gefleckte Grau der Augen kam ihnen geradezu engelsgleich vor. Herzlich hießen sie Meggie bei sich willkommen und setzten ihr zu essen vor: Pommes frites und entgräteten Fisch - eine Köstlichkeit, so jedenfalls schien es Meggie, wie sie sie noch nie gegessen hatte. Und sie wünschte sich, öfter im Restaurant essen zu dürfen. Aber nun ja, so leicht war das nicht. Wenn sie hierherkommen wollte, mußte sie ihre Mutter und auch die Nonnen jeweils um Erlaubnis bitten.
Ihre Berichte zu Hause spickte sie unablässig mit Sätzen wie: »Teresa hat gesagt«, oder: »Wißt ihr, was Teresa gemacht hat?«, bis Paddy lautstark erklärte, jetzt habe er über Teresa aber wirklich genug gehört.
»Weiß nicht, ob es eine so gute Idee ist, mit Ithakern so dick Freund zu sein«, sagte er dann. Wie alle, die sozusagen zur britischen Gemeinde gehörten, empfand er gegen Romanen - und überhaupt gegen alle dunkelhäutigen Menschen ein instinktives Mißtrauen.
»Ithaker sind schmutzig, Meggie-Mädchen, sie waschen sich nicht oft«, erklärte er lahm und verstummte dann unter Meggies verletztem und vorwurfsvollem Blick.
Immerhin hatte er einen Bundesgenossen in Frank, der ganz einfach eifersüchtig war, sehr eifersüchtig. So sprach Meggie zu Hause denn nicht mehr so häufig von Teresa, doch an der engen Freundschaft zwischen den beiden Mädchen
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