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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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die Hiebe tief, wenn auch nicht körperlich. Meggie ignorierte das Getuschel der Mädchen in ihrer Nähe und saß sehr straff, mit hocherhobenem Kopf.
    Vorne stand Schwester Agatha mit ihrem Stock; Schwester Declan patrouillierte sozusagen hinter den Linien auf und ab; Schwester Catherine setzte sich an das Klavier unmittelbar beim Eingang des Klassenraums für die Jüngsten und begann, »Vorwärts, christliche Soldaten« zu spielen. Eigentlich handelte es sich hierbei um ein protestantisches Lied, doch durch den Krieg war es gleichsam interkonfessionell geworden. Wie kleine Soldaten, befand Schwester Catherine voll Stolz, marschierten die lieben Kinder nach dieser Weise.
    Schwester Declan war eine recht getreue Kopie von Schwester Agatha, in einer um fünfzehn Jahre jüngeren Ausgabe. Schwester Catherine dagegen hatte noch etwas entfernt Menschliches an sich. Sie war erst in den Dreißigern, irischer Herkunft natürlich, und das Feuer ihrer inbrünstigen Hingabe war noch nicht völlig erloschen. Es machte ihr Freude, die Kinder zu unterrichten, in deren kleinen, ihr bewundernd zugewandten Gesichtern sie noch immer Ebenbilder des Herrn Jesu Christi zu sehen vermochte. Doch sie unterrichtete nur die älteren Schüler, bei denen Schwester Agatha annahm, sie seien genügend gedrillt, um auch bei einer jungen und nachgiebigen Lehrerin nicht zu mucksen. Was
    Schwester Agatha betraf, so nahm sie sich der Jüngsten an, um die noch gestaltlose Tonmasse kindlicher Hirne und Herzen nach ihrer Fasson zu formen. Die mittleren Gruppen überließ sie Schwester Declan.
    In der hintersten Reihe sitzend - und somit vor gewissen Argusaugen leidlich sicher -, wagte Meggie jetzt einen Blick auf ihre Nachbarin. Ein breites Lächeln war die Antwort, Zahnlücken wurden sichtbar, und aus einem dunklen, leicht glänzenden Gesicht musterten Meggie dunkle, überaus große Augen.
    Für Meggie hatte dieses Wesen an ihrer Seite etwas Faszinierendes. Blonde oder rötliche Haare und Sommersprossen waren für sie alltäglich, und selbst Frank mit seinen dunklen Augen und seinem dunklen Haar hatte eine vergleichsweise helle Haut. Kein Wunder also, daß Meggie in ihrer Nachbarin das schönste Geschöpf sah, das ihr je zu Augen gekommen war. »Wie heißt du?« fragte die dunkle Schönheit leise aus dem Mundwinkel. Am Ende ihres Bleistifts kauend, spuckte sie die abgebissenen winzigen Stückchen in die Vertiefung für das Tintenfaß. »Meggie Cleary«, flüsterte Meggie zurück.
    »Ihr dort!« klang eine trockene raspelnde Stimme von vorn. »Ja, du!«
    Meggie fuhr zusammen und blickte sich verstört um. Ein eigentümlich hohl klingendes Klappern ertönte: Zwanzig Kinder legten fast genau gleichzeitig ihre Bleistifte auf ihre Pulte. Voll Entsetzen sah Meggie, daß alle sie anstarrten. Und ihr Schrecken wuchs noch, als jetzt Schwester Agatha den Gang entlang auf sie zukam. Am liebsten wäre sie geflüchtet, hätte sie nur gewußt, wohin. Doch hinter ihr versperrte die Trennwand zum Klassenraum für die mittleren Jahrgänge den Fluchtweg, zu beiden Seiten befanden sich Pulte, und vor ihr war Schwester Agatha. In ihrem verängstigten kleinen Gesicht schien es, als sie jetzt zur Nonne emporstarrte, nichts zu geben als ein riesiges Augenpaar. »Du hast geredet, Meghann Cleary?« »Ja, Schwester.« »Und was hast du gesagt?« »Meinen Namen, Schwester.«
    »Deinen Namen!« Höhnisch blickte Schwester Agatha sich zu den anderen Kindern um: Hier, so sagte ihr Blick, war von allen wohl einzig Verachtung am Platz. »Nun, Kinder, fühlen wir uns nicht geehrt? Noch jemand von den Clearys in unserer Schule, und sie kann nicht damit warten, ihren Namen hinauszuposaunen!« Sie wandte sich wieder Meggie zu. »Steh auf, wenn ich mit dir rede, du unwissende kleine Wilde! Und strecke bitte deine Hand vor.« Meggie raffte sich hoch. Unsicher stand sie, und die langen Locken schienen ihr Gesicht zu umtanzen. Sie verschränkte die Hände ineinander, in verzweifelter, wie flehender Geste, doch Schwester Agatha rührte sich nicht um den Bruchteil eines Zentimeters, sie wartete nur, wartete, wartete ... Irgendwie brachte Meggie die Kraft auf, die Hände vorzustrecken; doch als der Stock herabsauste, zuckte sie entsetzt zurück. Schwester Agatha krallte die Finger ihrer freien Hand in Meggies oben gebauschtes Haar. Sie zog den Kopf des Mädchens so dicht zu sich heran, daß das kleine Gesicht nur noch wenige Zentimeter von jenen furchtbaren Brillengläsern entfernt

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