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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Kind bekam, und einmal, hat Daddy erzählt, ging es ihr sehr schlecht. Das war, als sie Hai erwartete. Doch sie hat es überstanden, und ich werde dies auch überstehen. So leicht sind wir nicht umzubringen, wir Cleary-Frauen.« Erst Stunden später trat der Arzt auf die Veranda zu Anne. »Beim ersten Kind ist es für so eine kleine Frau immer besonders schwer. Und besonders dieses Baby - es hat eine sehr ungünstige Lage, und die Kleine quält sich hin, ohne wirklich weiterzukommen. Wenn sie in Cairns wäre, könnte man den Kaiserschnitt machen. Aber das ist hier völlig ausgeschlossen. Sie muß praktisch ganz allein damit fertig werden.« »Ist sie bei Bewußtsein?«
    »O ja. Tapfere kleine Seele. Schreit nicht und beklagt sich nicht. Also, wenn Sie mich fragen - die Besten haben’s meist am schwersten. Fragt mich dauernd, ob Ralph denn noch nicht hier ist, und ich muß mir immerzu was aus den Fingern saugen, von wegen Überschwemmung oder was weiß ich. Ich dachte, ihr Mann heißt Luke.« »Heißt er auch.«
    »Hmmmm! Vielleicht ist gerade das der Grund dafür, daß sie nach diesem Ralph fragt, wer immer er sein mag. Ich meine, der Luke ist wohl nicht der wahre Augentrost, wie?« »Luke ist ein Schweinehund.«
    Anne beugte sich über die Verandabrüstung. Auf der Straße, von Dungloe her, war ein Taxi aufgetaucht, das jetzt in die Abzweigung nach »Himmelhoch« einbog. Im Fond erkannten ihre scharfen Augen einen schwarzhaarigen Mann.
    »Ich kann gar nicht glauben, was ich da sehe«, sagte sie freudig erregt. »Doch es scheint, daß Luke sich endlich daran erinnert hat, daß hier seine Frau ist, die ihn braucht.«
    »Gut. Dann werde ich wieder zu ihr gehen. Allerdings werde ich ihr sicherheitshalber nichts sagen. Könnte ja sein, daß das gar nicht ihr Mann ist. Kümmern Sie sich inzwischen um ihn,
    Anne. Geben Sie ihm eine Tasse Tee und heben Sie die harten Sachen für später auf. Er wird sie brauchen.«
    Das Taxi hielt unten. Zu Annes Überraschung stieg der Fahrer aus, um die hintere Tür zu öffnen. Das war bei einem Mann wie Joe Castiglione, der das einzige Taxi in ganz Dungloe fuhr, eine absolut nie gekannte Demonstration von Höflichkeit.
    »Dies hier ist >Himmelhoch<, Euer Exzellenz«, sagte er und verbeugte sich tief.
    Der Mann, der aus dem Taxi stieg, trug eine lange, wallende Soutane. Der Gürtel sah purpurfarben aus und schien aus geripptem Seidentuch zu bestehen, genau ließ sich das jedoch nicht erkennen. Für einen Augenblick glaubte Anne, Luke O’Neill habe sich irgendeinen dummen Streich ausgedacht, als sie den Mann in der Soutane jetzt von vorn sah. Aber dann erkannte sie, wie groß der Unterschied zwischen den beiden Männern war. Erstens war dieser hier gut zehn Jahre älter als Luke, und dann - Herrgott, wie harmonisch wirkten seine Bewegungen, als er jetzt, jeweils zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe heraufkam. Das war Grazie, das war wahrhaft Anmut! Gar kein Zweifel, er ist der attraktivste Mann, den ich je gesehen habe. Und ein Erzbischof, wenn mich nicht alles täuscht. Was, um Himmels willen, sucht ein katholischer Erzbischof hier bei uns? Was will er von ein paar Lutheranern wie Luddie und mir? »Mrs. Müller?« fragte er und lächelte sie aus seinen blauen Augen an. Ein eigentümlicher ferner Ausdruck fand sich dort. Es war, als hätten diese Augen vieles gesehen, was seine Gefühle nicht erwidern wollten.
    »Ja, ich bin Anne Müller.«
    »Ich bin Erzbischof Ralph de Bricassart, Apostolischer Legat in Australien. Es wohnt eine Mrs. Luke O’Neill bei Ihnen?« »Ja, Sir.« Ralph? Ralph! War dies Ralph?
    »Ich bin ein sehr alter Freund von ihr. Dürfte ich sie
    vielleicht sehen?«
    »Ich bin sicher, sie wird entzückt sein, Herr Erzbischof« - nein, das war nicht die richtige Anrede, man sagt nicht einfach Herr Erzbischof, sondern Euer Exzellenz -, »unter normalen Umständen wäre sie es jedenfalls, nur ... sie liegt jetzt in den Wehen, und es geht ihr gar nicht gut ... «
    Sie sah, daß sie sich getäuscht hatte. Er war menschlichen Gefühlen keineswegs entrückt, er verstand es nur, sie zu beherrschen, ja, falls nötig, zu unterjochen. Doch jetzt schienen ihn seine Emotionen plötzlich zu überwältigen, und unwillkürlich fragte sich Anne, was Meggie ihm und was er Meggie bedeuten mochte. »Ich wußte doch, daß irgend etwas nicht stimmte! Gefühlt habe ich das schon lange, aber in der letzten Zeit hat meine Besorgnis sich wirklich zur Besessenheit gesteigert. Ich mußte ganz

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