Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
Vom Netzwerk:
einfach kommen, um mich selbst zu überzeugen. Bitte, lassen Sie mich zu ihr! Für den Fall, daß Sie einen Grund dafür brauchen - nun, ich bin Priester.«
    Anne lächelte flüchtig. »Nun, das braucht es wohl kaum, Euer Exzellenz. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.« Während sie sich mühsam an ihren Krücken voranbewegte, dachte sie: Ist das Haus auch sauber und ordentlich? Habe ich Staub gewischt? Haben wir diese alte Hammelkeule weggeworfen, die schon so scheußlich roch? So ein bedeutender Mann, daß der gerade jetzt kommt! Und wo bleibt nur Luddie? Der Junge, den ich zu ihm schickte, muß ihn doch schon vor Stunden gefunden haben!
    Der große, schwarzhaarige Mann in der Soutane schien weder den Arzt noch die Hebamme zu sehen. Er kniete vor dem Bett nieder. »Meggie!«
    Er griff nach ihrer Hand, und sie erwachte, wie aus einem bösen, einem gespenstischen Traum, und sah nun so unvermittelt das geliebte Gesicht in allernächster Nähe. Die dichten schwarzen Haare, an den Schläfen inzwischen stark ergraut, die feinen Züge, tiefer gefurcht, als sie das in Erinnerung hatte, und seine blauen Augen, deren Blick so liebevoll und so sehnsüchtig in ihren Blick getaucht war. Wie hatte sie je auch nur für eine Sekunde Luke als Ersatz für ihn gelten lassen können. Es gab niemanden, der so war wie er, und es würde auch nie jemanden geben - nicht für sie. Und sie hatte Verrat daran geübt. Luke war die dunkle Seite des Spiegels, Ralph hingegen war so voll Glanz wie die Sonne - und genauso fern. Oh, wie schön, wie wunderschön, ihn jetzt zu sehen! »Ralph, hilf mir!« sagte sie.
    Leidenschaftlich küßte er ihre Hand, preßte sie dann gegen seine Wange. »Immer, meine Meggie, das weißt du.« »Bete für mich und für das Baby. Wenn uns jemand retten kann, dann du. Du bist Gott viel näher als wir. Niemand will uns, niemand hat uns jemals gewollt, nicht einmal du.« »Wo ist Luke?«
    »Ich weiß nicht, und es ist mir auch egal.« Sie schloß die Augen, drehte ihren Kopf auf dem Kissen hin und her. Doch mit erstaunlicher Kraft hielt sie weiter seine Hand umklammert. Doc Smith klopfte ihm leicht auf die Schulter. »Euer Exzellenz, es ist vielleicht besser, wenn Sie das Zimmer jetzt verlassen.« »Wenn ihr Leben in Gefahr ist, rufen Sie mich?« »Ja, auf der Stelle.«
    Luddie war inzwischen von den Zuckerrohrfeldern nach Hause gekommen. Er hatte im ganzen Haus niemanden gefunden, wagte das Schlafzimmer nicht zu betreten und fieberte vor Aufregung.
    »Anne«, fragte er, als seine Frau zusammen mit dem Erzbischof herauskam, »wie geht es ihr? Ist alles in Ordnung?« »Soweit wohl ja. Doc Smith will sich nicht festlegen, aber ich glaube, er hat Hoffnung. Und was uns betrifft, wir haben einen Gast. Dies ist Erzbischof Ralph de Bricassart, ein alter Freund von Meggie.« Luddie zeigte sich erfahrener als seine Frau. Er ließ sich auf ein Knie sinken und küßte den Ring an der Hand des Erzbischofs. »Nehmen Sie doch bitte Platz, Exzellenz.
    Während Sie sich mit Anne unterhalten, werde ich einen Kessel Wasser für den Tee aufsetzen.« »Sie sind also Ralph«, sagte Anne. Sie lehnte ihre Krücken gegen einen Bambustisch. Ihr gegenüber saß der Priester, und da er die Beine übereinandergeschlagen hatte, waren unter dem Saum seiner Soutane jetzt deutlich die Reitstiefel sichtbar.
    Er schien jünger zu sein, als sie zuerst angenommen hatte - höchstens Anfang vierzig. Und solch ein Bild von einem Mann! »Ja, ich bin Ralph.«
    »Seit bei Meggie die Wehen einsetzten, hat sie immer und immer wieder nach einem Ralph gefragt. Ich muß gestehen, daß ich verwirrt war. Ich kann mich nicht erinnern, aus ihrem Mund je zuvor den Namen Ralph gehört zu haben.« »Mit Sicherheit nicht. Sie würde ihn nie erwähnen.« »Woher kennen Sie Meggie, Exzellenz? Und wie lange schon?« Auf dem Gesicht des Priesters erschien ein eigentümliches Lächeln. Er legte seine schlanken, schönen Hände so gegeneinander, daß sie eine Art gotischen Spitzbogen zu bilden schienen. »Ich kenne sie, seit sie zehn Jahre alt war. Sie kam mit ihrer ganzen Familie von Neuseeland, und wenige Tage nach der Ankunft in Australien sah ich sie zum ersten Mal. Es läßt sich durchaus wahrheitsgetreu sagen, daß ich Meggie in guten wie in schlechten Zeiten gekannt habe, in Hochwasser, Feuer und Dürre, die wohl auch eine Dürre der Gefühle war - was immer wir Menschen ertragen müssen. Meggie ist der Spiegel, in dem ich meine eigene Sterblichkeit sehe, sehen muß.« »Sie

Weitere Kostenlose Bücher