Die Dornenvögel
das Kind freuen, sobald er wisse, daß es unterwegs sei? Nichts in seinem bisherigen Verhalten hatte je eine solche Einstellung erwarten oder auch nur erhoffen lassen. Allmählich wurde es wohl Zeit für eine - wie nannte man das doch? - Bestandsaufnahme. Und schien es nicht auch angebracht, daß sie ihren dummen Stolz endlich über Bord gehen ließ. Luke und sie - sie hatten beide aus den falschen Gründen geheiratet: er, weil er ihr Geld wollte, und sie, weil sie sich von Ralph de Bricassart lösen wollte, ohne Ralph de Bricassart jedoch ganz zu verlieren, und sei es auch nur äußerlich. Liebe war da nie gewesen, nicht einmal vorgetäuschte Liebe, und gerade Liebe hätten Luke und sie gebraucht, um die ungeheuren Unterschiede in ihrer Wesensart und in ihren Wünschen zu überbrücken.
Sonderbarerweise schien es ihr unmöglich, Luke wirklich zu hassen, während ihre Empfindungen gegenüber Ralph de Bricassart immer häufiger diese Bezeichnung verdienten. Dabei war Ralph doch nur fair zu ihr gewesen. Nie hatte er sie ermutigt, ihn anders zu sehen denn als Priester und als Freund. Und selbst die beiden Male, als er sie geküßt hatte - war da der Anstoß nicht von ihr ausgegangen? Warum war sie also auf ihn böse? Warum haßte sie Ralph und nicht Luke? Nun, offenbar kreidete sie ihm all ihre Ängste und Schwächen an, ihre verletzten Gefühle, weil er sie und ihre Liebe wiederholt abgewiesen hatte - gab sogar ihm die Schuld für den dummen Impuls, der sie Lukes Heiratsantrag annehmen ließ. Aber war nicht eben dies, daß sie Lukes Antrag annahm, ein Verrat gewesen, den sie an sich selbst und an Ralph übte? Denn sie wollte ja nur ihn, auch wenn er sie nicht wollte. Nie hätte sie sich mit einem anderen Mann, also mit weniger, zufriedengeben dürfen. Doch was half das alles? Die Erkenntnis begangener Irrtümer und Fehler nützte jetzt wenig. Sie hatte nun einmal Luke O’Neill geheiratet, und es war sein Kind, das sie erwartete. Und wenn es erst einmal auf der Welt war, dann konnte man - und erst recht sie, seine Mutter - es um seiner selbst willen lieben, weil es dann sozusagen ein Menschenwesen aus eigenem Recht war. Was hätte sie nicht alles darum gegeben, an Stelle dieses Kindes von Luke ein Kind von Ralph zu bekommen! Ein unmöglicher Wunsch, eine nie zu verwirklichende Hoffnung, sie wußte es. Er diente einer Institution, die darauf bestand, ihn ganz für sich zu haben, einschließlich dessen, wofür sie gar keine Verwendung hatte, sein Mannestum. Mutter Kirche verlangte dieses Opfer nun einmal von ihm. Aber weshalb eigentlich? Als Tribut an ihre
Macht doch wohl. Das, was er dar stellte, wurde ganz einfach verschwendet, vergeudet. Und eines Tages gab es dann keinen Ralph de Bricassart mehr, und auch nichts und niemanden, der ihm nachfolgen konnte. Was für ein sinnloses Opfer, das die Kirche da verlangte ...
Plötzlich stand sie auf und ging mit schwerfälligen Schritten ins Wohnzimmer, wo Anne mit einem Buch saß.
»Anne, ich glaube, Ihr Wunsch wird erfüllt werden.«
Anne hob den Kopf. »Was ist, Meggie?« fragte sie abwesend.
»Rufen Sie bitte Doc Smith an. Ich werde das verflixte Baby hier bekommen - jetzt gleich.«
»Oh, mein Gott! Gehen Sie ins Schlafzimmer und legen Sie sich hin - nein, nicht in Ihr Schlafzimmer, in unseres!«
Fluchend kam Doc Smith in seinem zerbeulten Auto von Dungloe nach »Himmelhoch« gerattert. Auf dem hinteren Sitz saß die Ortshebamme. Außerdem hatte er aus dem kleinen Krankenhaus, das er in Dunny betrieb - eigentlich war es gar kein Haus, sondern nur eine Hütte - alles mitgenommen, was er bei der Entbindung brauchen mochte. Sie jetzt dort hinzubringen hätte keinen Sinn gehabt. Ins Hospital in Cairns - dorthin gehörte sie eigentlich. »Weiß der Ehemann inzwischen Bescheid?« fragte er, als er, die Hebamme unmittelbar hinter sich, die Treppe zum Haus hinaufkeuchte.
»Ich habe ein Telegramm geschickt«, erwiderte Anne. »Sie ist in unserem Schlafzimmer. Ich dachte mir, dort hätten Sie mehr Platz.« Meggie lag auf dem Bett. Ihre Augen wirkten sehr groß, doch nichts in ihrem Gesicht verriet, daß sie Schmerzen empfand. Allerdings ging es manchmal wie ein Krampf durch ihren Körper, auch ihre Arme und Hände spannten sich eigentümlich. Sie blickte zu Anne, und Anne sah, daß in ihren Augen die nackte Angst stand. »Ich bin froh, daß ich nicht nach Cairns gekommen bin«, sagte Meggie. »Meine Mutter ist nie in ein Krankenhaus oder eine Klinik gegangen, wenn sie ein
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