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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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unwillkürlich den Blick abwenden. Vittorio di Contini- Verchese schien in Grübeln zu versinken, in sehr widerstreitende Gefühle über sich selbst.
    »Aber Meggie?« wiederholte Ralph de Bricassart. »Wenn ich sozusagen sie bereuen wollte, dann wäre das wie ein Mord an ihr.« Müde fuhr er sich mit der Hand über die Augen. »Ich weiß nicht, ob ich mich klar genug ausdrücke. Ich weiß nicht einmal, ob ich mich überhaupt verständlich ausdrücke. Es scheint fast, daß ich völlig außerstande bin, das in Worte zu kleiden, was ich für Meggie empfinde.« Er beugte sich auf seinem Stuhl vor, und im selben Augenblick wandte ihm der Kardinal auch wieder voll sein Gesicht zu. Wieder sah Ralph de Bricassart sich in den braunen Augen als Doppelgestalt, doch diesmal, so schien ihm, wirkte er ein wenig größer als zuvor.
    Vittorios Augen waren wie Spiegel. Sie warfen zurück, was sie empfingen, ließen jedoch keinen Blick zu auf das, was hinter ihnen vorging. Meggies Augen waren das genaue Gegenteil. Bei ihr drang der Blick tiefer und tiefer und tiefer, bis auf den Grund der Seele. »Meggie ist eine Gnade«, sagte er. »Für mich ist sie etwas Heiliges, eine andere Art Sakrament.«
    »Ja, ich verstehe«, seufzte der Kardinal. »Es ist gut, daß Sie so empfinden. In den Augen unseres Herrn, glaube ich, wird das die große Sünde mildern. Übrigens möchte ich Ihnen empfehlen, zur Beichte zu Pater Giorgio zu gehen und nicht zu Pater Guillermo, Pater Giorgio wird weder Ihre Gefühle noch Ihre Gedanken mißdeuten. Er wird die Wahrheit sehen. Pater Guillermo hingegen scheint mir in geringerem Maße einer solchen Perzeption fähig, und es könnte sein, daß er Zweifel hätte, ob Sie auch wahre Reue empfinden.« Wie ein flüchtiger Schatten huschte ein Lächeln über seinen schmallippigen Mund. »Auch sie, die den Großen die Beichte abnehmen, sind Menschen, mein Ralph. Vergessen Sie das nicht, solange Sie leben. Nur in ihrer unmittelbaren Eigenschaft als Priester sind sie Gefäße, in denen Gott ist. In allem übrigen sind sie Menschen. Und die Vergebung, die sie gewähren, kommt von Gott, doch die Ohren, mit denen sie hören, und der Verstand, mit dem sie urteilen, das sind nur allzu menschliche Instrumente.« Es klopfte leise an die Tür. Kardinal di Contini-
    Verchese wartete schweigend, während das Teetablett zu einem Intarsientisch getragen wurde. Schließlich sprach er weiter. »Sehen Sie, Ralph? Seit meiner Zeit in Australien ist mir der Nachmittagstee zu einer geradezu unentbehrlichen Gewohnheit geworden. Man bereitet ihn auch recht gut zu in meiner Küche, was zu Anfang allerdings keineswegs der Fall war.« Er sah, daß Erzbischof de Bricassart die Teekanne nehmen wollte, und hob rasch die Hand. »Ah, nein! Ich werde selbst einschenken. Es bereitet mir Vergnügen, >Mutter< zu sein.« »Sowohl in Genua als auch in Rom habe ich auf den Straßen sehr viele Schwarzhemden gesehen«, sagte der Erzbischof, während er zusah, wie der Kardinal den Tee einschenkte.
    »Die Sonderkohorten des Duce. Vor uns liegt eine sehr schwierige Zeit, mein Ralph. Der Heilige Vater ist fest entschlossen, es zwischen der Kirche und der weltlichen Regierung Italiens nicht zum Bruch kommen zu lassen, und er hat in diesem Punkt wie auch in allen anderen recht. Was immer auch geschieht, wir müssen uns die Freiheit bewahren, all unseren Kindern geistlichen Beistand zu leisten, selbst wenn ein Krieg bedeuten sollte, daß unsere Kinder in feindliche Lager geteilt sind und einander im Namen eines katholischen Gottes bekämpfen. Welcher Seite unsere Herzen und Gefühle auch gehören mögen, wir müssen stets versuchen, die Kirche von politischen Ideologien und internationalen Auseinandersetzungen fernzuhalten. Ich wollte, daß Sie zu mir kommen, weil ich mich darauf verlassen kann, daß Ihr Gesicht nicht verrät, was Ihr Gehirn denkt, womöglich über das, was Ihre Augen gerade sehen. Zudem besitzen Sie mehr diplomatisches Geschick, als ich es jemals bei einem anderen Menschen angetroffen habe.«
    Im Lächeln von Erzbischof de Bricassart spiegelte sich flüchtig ein eigentümlicher Ausdruck - wie ein Hauch von Wehmut. »Sie fördern meine Karriere sozusagen meiner selbst zum Trotz, nicht wahr? Wie hätte meine Zukunft ausgesehen, wäre ich Ihnen nicht begegnet?« »Oh, Sie wären Erzbischof von Sydney geworden, ein schönes Amt und auch ein wichtiges«, sagte Seine Eminenz mit einem goldenen Lächeln. »Doch wie und in welchen Bahnen unser Leben

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