Die Dornenvögel
dauerte fast ein Jahr, bis der Krieg das kleine Universum von Drogheda erreichte. Im Laufe dieses Jahres verschwand ein Viehtreiber nach dem anderen, vermehrten sich die Kaninchen noch stärker, versuchte Bob, die Produktion allem zum Trotz zu steigern. Doch Anfang Juni 1940 kam die Nachricht, daß die britische Expeditionsstreitmacht bei Dünkirchen vom europäischen Festland evakuiert worden sei. Zu Tausenden strömten Freiwillige für die Second Australian Imperial Force in die Rekrutierungszentren, darunter auch Jims und Patsy.
Vier Jahre Reiten auf den Koppeln bei jedem Wetter hatte die Zwillinge körperlich in einem solchen Maße zu Männern werden lassen, daß es kaum jemanden gab, der ihr wirkliches Alter auch nur annähernd ahnte. Sie zeigten ihre Briefe vor und wurden ohne jede weitere Frage angenommen. Buschmänner nahm man besonders gern. Die meisten waren gute Schützen, konnten sich unterordnen und bewiesen große Zähigkeit.
Jims und Patsy hatten sich in Dubbo freiwillig gemeldet, mußten aber zur Ausbildung jedoch nach Ingleburn bei Sydney. Natürlich ließ es sich niemand nehmen, sie zum Abendzug zu begleiten, mit dem im übrigen auch Cormac Carmichael, Edens jüngster Sohn, fuhr: zum selben Ausbildungslager, wie sich herausstellte. Also steckten die beiden Familien ihre Söhne in ein komfortables Erster-Klasse- Abteil und standen dann verlegen herum. Wie gern hätten sie sich in ihrer Beklemmung ein wenig Erleichterung verschafft, durch Umarmungen, durch Küsse, auch durch Tränen; sie hätten dann etwas gehabt, woran sie Erinnerungen von wärmster Emotionalität knüpfen konnten. Doch eben dies war es. Ihre eigentümliche britische Scheu vor Gefühlsbekundungen ließ das nicht zu. Die große C-36-
Dampflokomotive stieß einen klagenden Heulton aus, der Bahnhofsvorsteher zückte seine Trillerpfeife und pfiff. Meggie beugte sich vor, um ihren Brüdern in die Wangen zu kneifen, eine recht befangene Geste. Das gleiche tat sie auch bei Cormac, der genauso aussah wie Connor, sein ältester Bruder. Bob, Jack und Hughie schüttelten drei verschiedene junge Händepaare. Mrs. Smith weinte und war denn auch die einzige, die eben das tat, was alle so gern getan hätten: Sie küßte und herzte die beiden Jungen. Und dann gab es kein Drumherum mehr. Wer nicht mitfuhr, mußte aussteigen. Gemeinsam standen die beiden Familien auf dem Bahnsteig, der Zug ruckte an.
»Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen!« riefen alle und schwenkten große weiße Taschentücher, bis der Zug nur noch ein dampfender Strich im fernen, leuchtenden Sonnenuntergang war, und schließlich ganz verschwand.
Ihrem Wunsch gemäß, kamen Jims und Patsy zur - nur halb ausgebildeten - Neunten Australischen Division und wurden Anfang 1941 nach Ägypten transportiert. Sie trafen gerade noch rechtzeitig ein, um an den Kampfhandlungen um Benghasi teilzunehmen. Auf dem afrikanischen Kriegsschauplatz hatte General Erwin Rommel jetzt sein beträchtliches Gewicht zugunsten der Achsenmächte in die Waagschale geworfen, und das große Hin und Her in Nordafrika kam nun gleichsam richtig in Schwung. Vor dem neuen Afrikakorps wichen die britischen Streitkräfte schmählich nach Ägypten zurück, und die Neunte Australische Division erhielt den Befehl, Tobruk zu besetzen und zu halten, den Vorposten in dem von den Achsenmächten beherrschten Gebiet. Wenn es überhaupt etwas gab, was diesen Plan durchführbar erscheinen ließ, so die Tatsache, daß Tobruk von der Seeseite her versorgt werden konnte, jedenfalls solange britische Schiffe auf dem Mittelmeer noch Bewegungsfreiheit hatten. Die »Wüstenratten« von Tobruk hielten acht Monate durch und konnten sich über einen Mangel an Kampfhandlungen nicht beklagen, denn Rommel führte gegen sie alles ins Feld, was er zu seiner Verfügung hatte. Aber es gelang ihm nicht, Tobruk zu nehmen. »Habt ihr ’ne Ahnung, weshalb ihr hier seid?« fragte der Soldat Col Stuart, während er sich eine Zigarette drehte und das Papier dann mit der Zunge anfeuchtete.
Sergeant Bob Malloy schob sich mit dem Zeigefinger seinen sogenannten Digger-Hut ein kleines Stück in den Nacken. »Scheiße, nein«, sagte er grinsend. Es war eine oft gestellte Frage. »Na, jedenfalls ist es besser, als in der Kaserne seine Stiefel auf Hochglanz zu wienern«, meinte der Soldat Jims Cleary und zog die Shorts seines Zwillingsbruders etwas tiefer, damit er seinen Kopf bequem auf den weichen, warmen Bauch legen konnte. »Stimmt schon, Kumpel«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher