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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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und ausgeglichene Wesensart widerzuspiegeln: ein glückliches, tief in sich selbst wurzelndes Naturell. Ihm schien gleichsam mitgegeben, was sich Kinder für gewöhnlich nur unter vielen Schmerzen und Enttäuschungen erwerben - das Sichzurechtfinden in der Welt, das Gefühl für die eigene Persönlichkeit.
    Seiner Mutter erschien seine Ähnlichkeit mit Ralph manchmal geradezu erschreckend. Doch außer ihr bemerkte offenbar niemand etwas. Allerdings war Ralph schon lange von Gillanbone fort, und bei aller frappierenden Ähnlichkeit gab es doch einen Unterschied, der über diese starke Ähnlichkeit hinwegtäuschen konnte und dies augenscheinlich auch tat. Anders als Ralph, hatte Dane nicht schwarzes Haar, sondern helles. Aber man konnte es weder weizen- noch flachsblond nennen. Der Farbton glich dem des Grases auf Drogheda, Gold mit Silber und Beige darin.
    Justine war in ihr Brüderchen vom ersten Augenblick an vernarrt. Für Dane konnte gar nichts gut genug sein, für ihn machte ihr nichts zuviel Mühe. Sobald er zu laufen begann, wich sie nicht mehr von seiner Seite. Meggie war darüber sehr froh. Mrs. Smith und die Dienstmädchen, so schien ihr, wurden allmählich zu alt, um einen kleinen Jungen mit genügender Aufmerksamkeit im Auge zu behalten.
    An einem ihrer wenigen freien Sonntage setzte sie sich ihre Tochter auf den Schoß und begann sehr ernst darüber zu sprechen, wie wichtig es sei, sorgfältig auf Dane aufzupassen.
    »Ich kann nicht hier in der Homestead sein, um das selbst zu tun«, sagte sie, »also kommt es ganz und gar auf dich an, Justine. Du mußt auf ihn aufpassen, damit ihm nichts passiert.«
    Die hellen Augen blickten so klug und aufmerksam, wie das bei einem erst vierjährigen Kind gewiß nicht typisch war. »Mach dir keine Sorgen, Mum«, sagte Justine, und ihre Stimme klang sehr selbstsicher. »Ich werde immer auf ihn aufpassen.« »Ich wünschte, ich könnte das selber tun«, seufzte Meggie. »Ich nicht«, erklärte Justine in aller Offenheit. »Ich möchte Dane ganz für mich haben. Mach dir also keine Sorgen. Ich pass’ schon auf, daß ihm nichts passiert.«
    Meggie fühlte sich beschwichtigt und beunruhigt zugleich. Beschwichtigt, weil sie sicher war, daß Justine wirklich mit aller Sorgfalt ihr Brüderchen bewachen würde, beunruhigt, weil sie wußte, daß dieses frühreife kleine Ding im Begriff war, ihr den eigenen Sohn wegzunehmen, und weil sie keine Möglichkeit sah, das zu verhindern. Sie mußte wieder hinaus auf die Koppeln, während Justine ihres Bruders Hüterin spielte. Von ihrer eigenen Tochter wurde sie bei Dane ausgestochen, von ihrer Tochter, die ein Ungeheuer war. Wem, um alles in der Welt, geriet sie nur nach? Luke nicht, ihr selbst nicht und auch Fee nicht.
    Immerhin war etwas Erstaunliches geschehen. Justine hatte bewiesen, daß sie lächeln und sogar lachen konnte - jetzt, mit vier Jahren. Woher das auf einmal kam, ließ sich nicht mit Sicherheit sagen, doch wahrscheinlich war Dane der Grund dafür. Er hatte vom ersten Lebenstag an gelacht. Sein Lachen schien auf Justine unwiderstehlich zu wirken. Überhaupt lernten die beiden Kinder in vielem, in sehr vielem, voneinander. Meggie brachte diese Tatsache die bedrückende Erkenntnis, daß Dane und Justine offenbar sehr gut ohne ihre Mutter auszukommen vermochten.
    Bis dieser verfluchte Krieg vorüber ist, dachte Meggie, ist Dane zu alt, um zu empfinden, was er für mich empfinden sollte. Er wird Justine immer näherstehen als mir. Jedesmal, wenn ich endlich glaube, mein Leben unter Kontrolle zu haben, kommt irgend etwas dazwischen. Weshalb nur? Ich habe weder den Krieg herbeigewünscht noch die Dürre. Aber da sind sie nun einmal.
    In einer Beziehung war es vielleicht ganz gut, daß man auf Drogheda eine solch schwere Zeit durchmachte. Wäre die Lage leichter gewesen, so hätten zweifellos auch Jack und Hughie die Uniform angezogen. So jedoch blieb ihnen keine Wahl. Sie mußten auf Drogheda bleiben, um irgendwie zu retten, was noch zu retten war in dieser Dürre, die man später die Große Dürre nannte. Über zwei Millionen Quadratkilometer Agrar- und Weidefläche waren betroffen, ein Gebiet, das von Victoria im Süden bis zum Mitchell-Gras-land des Northern Territory reichte.
    Doch trotz der Dürre galt die allgemeine Aufmerksamkeit in fast gleichem Maße dem Verlauf, den der Krieg nahm. Da sich die Zwillinge in Nordafrika befanden, verfolgte man auf Drogheda die Ereignisse dort - das unablässige Hin und Her in Libyen -

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