Die Dornenvögel
Blick haftete voll grimmiger Ironie auf Meggies verdutztem Gesicht. »Hältst du mich wirklich für eine solche Närrin, Meggie? Ich spreche nicht von Luke O’Neill. Ich spreche davon, daß Dane Ralph de Bricassart wie aus dem Gesicht geschnitten ist.« Blei. Alles an ihr und in ihr schien aus Blei zu sein, der Kopf, die Arme, die Beine, selbst das Herz.
»Aber, Mum!« Auch ihre Stimme klang bleiern. »Was sagst du da - Pater Ralph de Bricassart!?«
»Ganz recht. Du hast dich nicht verhört, und du weißt es auch! Luke O’Neill hat diesen Jungen nicht gezeugt. Er ist Ralph de Bricassarts Sohn. Das habe ich beim ersten Blick gewußt - als ich dich von ihm entbunden habe.«
»Warum hast du dann nie etwas gesagt? Weshalb hast du bis jetzt gewartet mit deiner - deiner verrückten und unbegründeten Anschuldigung?«
Fee streckte ihre Beine aus und legte bequem die Füße übereinander. »Ich werde nun doch langsam alt, Meggie. Und da tun einem die Dinge nicht mehr so weh. Ja, Alter kann ein Segen sein! Es tut gut zu sehen, wie Drogheda sozusagen wieder zu sich selber kommt. Deshalb fühle ich mich wie schon lange nicht mehr. Und zum ersten Mal seit Jahren bin ich auch zum Sprechen aufgelegt.« »Nun, Mum, wenn du dich schon mal zum Reden entschließt, dann setzt du aber gleich sonderbare Behauptungen in die Welt! Dazu hast du doch einfach kein Recht! Es ist einfach nicht wahr!« sagte Meggie verzweifelt.
Plötzlich streckte Fee die Hand aus und legte sie Meggie aufs Knie. Und sie lächelte - nicht verbittert oder verächtlich, sondern mit einem eigentümlichen Ausdruck von Anteilnahme. »Lüge mir bitte nichts vor, Meggie. Belüge sonst, wen immer du belügen magst, aber nicht mich. Es gibt nichts, das mich je davon überzeugen könnte, daß Luke O’Neill Danes Vater ist. Ich bin nicht dumm, und ich habe Augen im Kopf. In dem Jungen ist nichts, aber auch gar nichts von Luke. Woher denn auch? Dane ist das Ebenbild dieses Priesters. Seine Gesichtsform, seine Augenbrauen, sein Haaransatz, sein Mund, sogar die Form der Hände und die Art, wie er sich bewegt. Ralph de Bricassart, Meggie, Ralph de Bricassart!« Meggie gab das Leugnen auf. Plötzlich fühlte sie sich wie erlöst. Sie saß völlig entspannt. »Und vor allem der Ausdruck in seinen Augen«, sagte sie, »diese - wie soll ich sagen - Distanziertheit, das fällt mir selbst immer am meisten auf. Und ist es nicht auch auffällig, Mum, dies alles, meine ich? Und wissen es nicht alle?« »Natürlich nicht«, erklärte Fee mit aller Entschiedenheit. »Die Leute sehen die Farbe der Augen, die Form der Nase, die ganze Gestalt - nun ja, den Typ halt. Und da besteht dann durchaus eine gewisse oberflächliche Ähnlichkeit mit Luke. Bei mir war das anders. Ich wußte es sofort, weil ich dich und Ralph de Bricassart jahrelang beobachtet hatte. Mir war klar, er brauchte nur den kleinen Finger zu krümmen, und sofort würdest du gelaufen kommen. Schamlos warst du, Meggie, ja absolut schamlos!« In ihrer Stimme klang eine unüberhörbare Härte an. »Aber er war ein sehr standfester Mann. Er war fest entschlossen, ein vollkommener Priester zu sein. Du kamst für ihn erst in zweiter Linie. Oh, was für eine Dummheit! Denn es hat ihm nichts genützt, nicht wahr? Es war nur eine Frage der
Zeit, bis etwas geschah.« Um die Hausecke ließ einer der Handwerker seinen Hammer fallen und fluchte laut. Fee fuhr unwillkürlich zusammen. »Lieber Himmel«, sagte sie, »ich wünschte wirklich, die wären endlich fertig mit diesen Fliegenfenstern!« Sofort kehrte sie wieder zum Thema zurück. »Glaubst du denn, du hättest mich damals getäuscht, als du nicht wolltest, daß Ralph de Bricassart herkam, um dich mit Luke zu trauen? Ich wußte Bescheid. Du wolltest ihn nicht als Priester, der die Trauung vollzog, sondern als Bräutigam. Als er dann vor seiner Abreise nach Athen nach Drogheda kam und dich hier nicht mehr vorfand, war mir klar, daß er früher oder später versuchen würde, dich zu finden. Wie ein völlig verirrter und verwirrter kleiner Junge lief er hier herum. Deine Heirat mit Luke war dein klügster Schachzug, Meggie. Solange er wußte, daß du nach ihm schmachtest, wollte Ralph dich nicht. Aber kaum, daß du einem anderen gehörtest, zeigte er alle klassischen Symptome der Eifersucht, um nicht zu sagen des Futterneids. Natürlich hatte er sich selber eingeredet, seine Gefühle für dich seien so rein wie der reinste Schnee. Tatsache blieb allerdings, daß er dich
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