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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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vergaß, so nur der sonderbaren Augen wegen. Auch ihr Charakter prägte sich anderen unvergeßlich ein, ihre Direktheit, ihre Willensstärke, ihre Kompromißlosigkeit. Wie man über sie dachte, war ihr, der nun Achtjährigen, nach wie vor völlig gleichgültig, und es gab nur einen Menschen, auf den es ihr wirklich ankam: Dane. Ihn betete sie an, und außerdem betrachtete sie ihn immer noch als ihr Eigentum.
    Kein Wunder, daß es deshalb zwischen ihr und ihrer Mutter zu manchem harten Zusammenstoß kam. Als Meggie nicht mehr auf die Koppeln ritt und sich wieder in ein mütterliches Wesen zurückverwandelte, war das für Justine fast so etwas wie ein Schock. Was sie selbst betraf, so schien sie keine Mutter zu brauchen, sie war ohnedies davon überzeugt, in allem recht zu haben. Eine Vertraute oder jemanden, der ihr Anerkennung zollte, brauchte sie ebensowenig. In ihren Augen war Meggie in der Hauptsache jemand, der stets und ständig das Vergnügen beeinträchtigte, das sie an Dane hatte. Mit ihrer Großmutter kam sie wesentlich besser aus. Fee gehörte zu den Menschen, die Justines ausdrückliche Billigung fanden: Sie hielt auf Distanz und traute einem ein Mindestmaß an Verstand zu. »Ich habe ihm gesagt, daß er keinen Schmutz essen soll«, erklärte Justine.
    »Nun, er wird davon schon nicht sterben, Justine, aber gut ist es für ihn natürlich auch nicht.« Meggie blickte zu ihrem Sohn. »Warum hast du das getan, Dane?«
    Er überlegte sehr ernsthaft. »Sie war da, und deshalb habe ich sie gegessen. Und sie hat gut geschmeckt. Wenn sie für mich schlecht wäre, würde sie doch nicht gut schmecken, nicht wahr?« »Ach was, das will doch gar nichts sagen«, unterbrach ihn Justine. »Aber mit dir geb’ ich’s langsam auf, Dane. Es gibt doch Sachen, die ganz besonders gut schmecken und ganz besonders giftig sind.« »Nenn doch mal eine!« forderte er sie heraus. »Melasse!« rief sie triumphierend.
    Bei Mrs. Smith in der Speisekammer hatte Dane einmal einen Topf voll Melasse entdeckt und den gesamten Inhalt verschlungen, woraufhin ihm natürlich mordsübel geworden war. Jetzt nickte er kurz, versuchte jedoch, seiner Schwester in die Parade zu fahren. »Ich lebe ja noch, also kann’s doch gar nicht so giftig gewesen sein.« »Das ist nur, weil du’s wieder ausgebrochen hast. Hättest du das nicht getan, wärst du jetzt tot.«
    Dagegen fiel ihm kein Argument ein, doch das schien ihm nichts weiter auszumachen. Er hakte sich bei Justine ein, die Geschwister waren fast genau gleich groß, und gemeinsam gingen beide zu dem sogenannten Kinderhäuschen, das die Cleary-Männer - übrigens genau nach Anweisung - zwischen den tiefhängenden Ästen eines Pfefferbaums für sie hatten errichten müssen. Die Erwachsenen waren zunächst sehr dagegen gewesen wegen der dort so zahlreich umherschwirrenden Bienen. Die Kinder hatten jedoch gemeint, das sei überhaupt nicht gefährlich, und sie hatten recht behalten. Pfefferbäume, so erklärten sie, seien die nettesten aller Bäume. Ganz friedlich war es dort, und sie rochen auch so gut und hatten so hübsche rötliche Früchte.
    »Sie sind so verschieden voneinander, die beiden, und kommen doch so gut miteinander aus«, sagte Meggie. »Das verwundert mich immer wieder. Ich wüßte nicht, wann sie sich schon einmal gestritten hätten, wobei mir einfach rätselhaft ist, wie Dane es schafft, bei einem so halsstarrigen Mädchen wie Justine beständig einem Streit aus dem Weg zu gehen.«
    Doch Fees Gedanken waren auf etwas anderes gerichtet. »Gott, er ist seinem Vater wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten«, sagte sie, während Dane sich unter die tiefsten Zweige des Pfefferbaums duckte und verschwand.
    Meggie spürte, wie sofort Kälte in ihr hochstieg. So oft hatte sie das schon gehört in den vergangenen Jahren, von so vielen Seiten, doch nie konnte sie sich daran gewöhnen, daß die Leute
    Luke meinten. Weshalb eigentlich nicht? Zwischen Luke O’Neill und Ralph de Bricassart bestand doch eine grundlegende Ähnlichkeit. Dennoch reagierte sie nie ganz natürlich, wenn jemand von Danes Ähnlichkeit mit seinem Vater sprach. Denn sie konnte in Dane selbstverständlich ganz und gar nichts von Luke finden.
    »Meinst du wirklich, Mum?« fragte sie so beiläufig sie nur konnte. »Ich meinerseits sehe das einfach nicht. Aber vielleicht liegt das daran, daß er in seinem Wesen so ganz anders ist als Luke.« Fee lachte. Es klang zwar halb wie ein Schnauben, doch es war ein Lachen, und ihr

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