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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Die vollen, weichen Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln. »Nun, im Grunde glaub’ ich das nicht. Es ist nur der Große Nordwesten, der mich abschleift. Es ist bei mir wie bei Salome mit ihren sieben Schleiern; einer nach dem anderen verschwindet. Oder wie bei einer Zwiebel mit ihren diversen Häuten. So jedenfalls würde Justine es ausdrücken. Hat wirklich kein poetisches Gemüt, das Kind. Ich bin dieselbe alte Meggie, Ralph, nur nackter.« »Vielleicht.«
    »Aber du hast dich geändert, Ralph.« »In welcher Beziehung?«
    »Nun, es scheint, daß der Sockel sozusagen bei jedem Windhauch schwankt und der Blick von oben, aus der Vogeloder Himmelsperspektive, nur Enttäuschungen bringt.«
    »Gut gesagt.« Er lachte lautlos. »Und wenn ich daran denke, daß ich einmal gesagt habe, in gewisser Weise seist du überhaupt nicht außergewöhnlich! Ich nehme das hiermit zurück. Du bist die eine Frau, Meggie. Die eine!«. »Was ist
    geschehen?«
    »Ich weiß es nicht. Habe ich vielleicht entdeckt, daß selbst Kirchenidole tönerne Füße haben? Habe ich mich für ein Linsengericht verkauft? Greife ich ins Leere, ins Nichts?« Wie im Schmerz zog er die Augenbrauen zusammen. »Vielleicht ist es genau dies, im Kern jedenfalls. Ich bin nichts weiter als eine Masse von Klischees. Es ist eine alte und erstarrte Welt, die Welt des Vatikans.« »Nun, ich habe das wohl schon damals ziemlich realistisch gesehen, im Gegensatz zu dir.«
    »Mir blieb keine andere Wahl, glaub’ mir. Bei dir wäre ich vielleicht ein besserer Mann gewesen, wenn auch weniger - erhaben. Aber ich konnte einfach nicht, glaub’ mir. Oh, ich wünschte, ich könnte dich dazu bringen, das zu begreifen.«
    Ihre Finger strichen zärtlich über seinen Arm. »Liebster Ralph, ich begreife doch. Ich weiß es, ich weiß ... In jedem von uns ist etwas, das sich nicht verleugnen läßt, auch wenn es uns dazu bringt, so laut zu schreien, daß wir sterben. Wir sind, was wir sind, das ist alles. Genau wie es in der alten keltischen Legende erzählt wird. In der Legende von dem Vogel mit dem Dorn in der Brust. Er singt sich das Herz aus dem Leib und stirbt. Weil er es tun muß, weil es ihn dazu treibt. Wissen wir es nicht schon im voraus, wenn wir etwas Verkehrtes tun? Und dennoch ändert diese Erkenntnis nichts an dem, was dann geschieht. Jeder singt sein eigenes kleines Lied, weil er davon überzeugt ist, daß es das schönste Lied ist, das die Welt je gehört hat. Verstehst du nicht? Wir selbst sind es, die unsere Dornen machen und die sich nie die Zeit nehmen, nach den Kosten dafür zu fragen. Das einzige, was wir können, ist, den Schmerz ertragen und uns selber weismachen, daß es die Sache wert war.« »Eben das verstehe ich nicht«, sagte er und blickte auf die Hand, die so zart auf seinem Arm lag und doch einen so unerträglichen Schmerz hervorrief in ihm. »Nein, das verstehe ich nicht - nicht den Schmerz. Warum der Schmerz, Meggie?«
    »Frage Gott, Ralph«, erwiderte sie. »Er ist die Autorität für
    Schmerz, nicht wahr? Er hat die ganze Welt erschaffen. Also hat er auch den Schmerz erschaffen.«
    Da es Samstagabend war, stellten sich zum Dinner auch Bob, Jack, Hughie, Jims und Patsy ein. Normalerweise wäre am Sonntag Pater Watty gekommen, um die Messe zu lesen. Doch Bob rief ihn an und erklärte, diesmal brauche er nicht zu kommen, weil niemand da sei: eine fromme Lüge, um Kardinal de Bricassarts Anonymität zu sichern. Die fünf Cleary-Männer ähnelten Paddy mehr denn je, sie wirkten so zäh und so beständig wie das Land, auf dem sie arbeiteten und lebten. Und sie liebten Dane! Immer wieder glitten ihre Blicke zu ihm, und als er den Raum verließ, um zu Bett zu gehen, sahen sie ihm aufmerksam nach. Sie schienen kaum den Tag erwarten zu können, an dem er alt genug war, um sich gemeinsam mit ihnen um Drogheda zu kümmern.
    Inzwischen hatte der Kardinal auch entdeckt, weshalb Justine sich ihm gegenüber so feindselig zeigte. Dane mochte ihn offenbar, hing an seinen Lippen, blieb immer in seiner Nähe, und seine Schwester war ganz einfach eifersüchtig.
    Nachdem die Kinder verschwunden waren, blickte er die anderen an, die Brüder, Meggie, Fee.
    »Ich möchte mit euch allen über etwas ganz Bestimmtes sprechen«, sagte er.
    Sie saßen, wie sie früher oft gesessen hatten: Fee und Meggie dem Kardinal gegenüber in tiefen, bequemen Sesseln, die Brüder ganz in der Nähe auf harten Steinbänken.
    »Es handelt sich um Frank«, sagte er.
    Der Name war wie ein

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