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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Jedenfalls glaube ich’s.«
    Er öffnete auch das andere Auge. »Du willst mich aufziehen.«
    »Aber nicht die Bohne! Wurde doch allerhöchste Zeit, finde ich. Wie kann ich erwarten, eine gute Schauspielerin zu werden, wenn ich nicht die geringste Ahnung habe, was zwischen Mann und Frau vorgeht?«
    »Du hättest dich für den Mann, den du einmal heiratest, bewahren sollen.«
    Ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. »Also ehrlich, Dane, manchmal bist du so sehr tiefes Mittelalter, daß es direkt peinlich wird! Was ist, wenn ich erst mit vierzig Jahren einen kennenlerne, den ich heiraten möchte? Was erwartest du eigentlich von mir? Daß ich bis dahin Däumchen drehe, mir alles verkneife? Willst du das etwa tun - es für die Ehe aufheben?«
    »Ich glaube nicht, daß ich heiraten werde.«
    »Na, ich bestimmt auch nicht. Und was nun? Soll ich es etwa ein für allemal in die Aussteuertruhe stecken, womöglich mit einem blauen Bändchen drumherum? Und dann abschließen und den Schlüssel wegwerfen? Also ehrlich, ich möchte mich nicht mal auf dem Sterbebett fragen müssen, wie es denn wohl hätte sein können!«
    Er grinste. »Na, nun brauchst du dich ja nicht mehr zu fragen.«
    Langsam wälzte er sich herum, auf den Bauch, stützte das Kinn in eine Hand, musterte seine Schwester sehr aufmerksam, Besorgnis im Blick. »War’s denn in Ordnung? Oder war’s schrecklich? Widerlich für dich?«
    Bei der Erinnerung zuckte es eigentümlich um ihre Lippen. »Also nein. Es war nicht schrecklich, und widerlich war’s eigentlich auch nicht. Andererseits muß ich gestehen, daß ich nicht begreifen kann, weshalb sich darüber alle immer so verzückt haben. Ich würde so weit gehen zu sagen, daß es angenehm ist, aber weiter auch nicht.
    Und ich habe mir ja nicht irgendeinen genommen. O nein! Ich habe schon darauf gehalten, daß er attraktiv war und außerdem alt genug, um von der Sache eine Ahnung zu haben.«
    Er seufzte. »Also du bist wirklich unmöglich, Justine. Da hätte ich aus deinem Mund schon viel lieber gehört: >Toll< aussehen tut er nicht gerade, aber ich habe ihn nun einmal kennengelernt und konnte einfach nicht anders.« Ich meine, schön, wenn du nicht bis zur Ehe damit warten willst, dann kann ich das wohl verstehen. Dennoch sollte es etwas sein, das du nicht des Aktes, sondern des Menschen wegen haben möchtest. Niemals nur des Aktes wegen, Jus. Ich bin wirklich nicht überrascht, daß von Ekstase bei dir nicht die Rede sein konnte.«
    Jeder Ausdruck von Triumph war von ihrem Gesicht wie weggewischt. »Du verdammter Kerl, jetzt fühle ich mich auf einmal ganz schrecklich! Würde ich dich nicht besser kennen, so würde ich glauben, daß du mich - oder doch meine Motive
    - herabsetzen willst.«
    »Aber du kennst mich besser, nicht wahr? Ich setze dich niemals herab, nur: deine Motive sind manchmal wirklich ganz einfach gedankenlos albern.« Er gab seiner Stimme einen eigentümlich monotonen Klang. »Du weißt doch, was aus mir zu dir spricht, Justine O’Neill - dein Gewissen.«
    »Stimmt sogar, du verflixter Kerl.« Sie ließ sich neben ihm aufs Gras gleiten, so daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Ihre Besorgnis wegen der Sonne hatte sie vergessen. »Hör mal, du weißt doch, weshalb, nicht wahr? Du weißt es doch!«
    »Oh, Jussy«, begann er traurig. Doch weiter kam er nicht, denn sie fuhr sogleich fort, und ihre Stimme klang wild, klang verzweifelt: »Nie, nie, niemals werde ich jemanden lieben! Wenn man Menschen liebt, bringen sie einen um! Wenn man Menschen braucht, bringen sie einen um. Sie tun’s, ich sag’s dir!«
    Es schmerzte ihn immer tief, daß sie sich ungeliebt fühlte, und es schmerzte um so tiefer, als er wußte, daß er selbst der Grund dafür war. Während er sich, was die Zuneigung anderer Menschen betraf, praktisch stets im Mittelpunkt des kreisenden Rades befand, bewegte sie sich immer nur an der Peripherie. Dennoch - und eben dies machte sie ihm so ganz besonders teuer - liebte sie ihn, ohne ihm die Bevorzugung durch andere auch nur im geringsten zum Vorwurf zu machen. Nein, sie trug ihm nichts nach, hatte sich offenbar sogar eingeredet, oder doch einzureden versucht, daß sie sich sehr wohl befand, dort an der äußersten Peripherie. Doch er begriff ihren Schmerz. Er wußte den Schmerz. Und er wußte mehr. Es gab soviel Liebenswertes an ihr, und es gab sowenig Liebenswertes an ihm selbst. Weshalb also liebten alle ihn mehr als sie? Er glaubte, dafür plausible Erklärungen zur Hand zu

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