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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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ich einen Wunsch an dich richten darf, so ist es dieser: daß ich in dir für immer völliges Vergessen finden möge ...
    »Du bist so still, Mum«, sagte Dane. »Woran denkst du? An Drogheda?«
    »Nein«, erwiderte Meggie schläfrig. »Ich denke daran, daß ich alt werde. Heute morgen habe ich ein halbes Dutzend graue Haare entdeckt, und meine Knochen tun mir weh.«
    »Du wirst nie alt sein, Mum«, sagte er zuversichtlich.
    »Ich wünschte, das wäre wahr, Liebling, doch leider ist das nicht der Fall. Ich habe allmählich unseren Artesischen Brunnen nötig, und das ist ein sicheres Anzeichen fürs Altwerden.« Auf Tüchern, die sie über dem Drogheda-Gras ausgebreitet hatten, lagen sie in der warmen Wintersonne, und zwar in unmittelbarer Nähe jenes Teichs, der sich seit eh und je um das sprudelnde Hauptrohr des Artesischen Brunnens gebildet hatte. Ein Stück entfernt stürzten in breitem, brodelndem Schwall unentwegt weitere Wassermassen aus dem Rohr in den Teich herab, während gleichzeitig wie in Schwaden der Geruch von Skhwefel herüberzog. Hier zu schwimmen gehörte zu den ganz besonderen Vergnügungen, die man sich im Winter auf Drogheda leistete. Wie im Handumdrehen wurde man dabei alle Schmerzen und Wehwehchen des voranschreitenden Alters los.
    Das jedenfalls waren Meggies Gedanken, als sie sich jetzt auf den Rücken drehte und ihren Kopf in den Schatten jenes liegenden Baumstamms schob, auf dem sie und Pater Ralph vor so langer Zeit gesessen hatten. Vor so unendlich langer Zeit. Es erschien ihr einfach unmöglich, auch nur ein schwaches Echo jener Gefühle heraufzubeschwören, von denen sie doch zweifellos erfüllt gewesen war, als Ralph sie damals küßte.
    Sie hörte, daß Dane aufstand, und öffnete die Augen. Stets war er ihr Baby gewesen, ihr süßer kleiner Junge. Sein Heranwachsen hatte sie mit mütterlichem Besitzerstolz verfolgt, doch vor allem die Veränderungen in seinem Gesicht hatte sie unbewußt vor sich selbst verheimlicht, indem sie ihm, auch wenn sie ihn noch so genau betrachtete, in ihrer Vorstellung gleichsam die Maske des süßen, lachenden Babys überstülpte. Bis jetzt hatte sie noch gar nicht begriffen, daß ihr Sohn in keiner Beziehung mehr Kind genannt werden konnte. Doch die Erkenntnis kam in diesem Augenblick. Als sie ihn in seiner knapp geschnittenen Badehose stehen sah, eine scharf gegen den blauen Himmel sich abhebende Gestalt.
    Mein Gott, es ist alles vorüber! Die Kindheit, die Knabenzeit. Er ist ein Mann. Ein Wirrwarr der Gefühle erfüllte Meggie, Stolz, Bedauern, Bewunderung, Traurigkeit, Zorn - und die eigentümliche Empfindung, dies müsse so etwas wie ein bevorstehendes Unheil bedeuten. Und war es nicht, auf seine Weise, auch furchtbar? Furchtbar, einen Menschen in die Welt zu setzen; noch furchtbarer, einen solchen Menschen in die Welt zu setzen. Ralph de Bricassart, dazu ein wenig von ihr selbst. In diesem jungen Körper den Körper jenes Mannes wiederzusehen, der sich mit ihr in Liebe vereinigt hatte, das war etwas, das in ihr an die tiefsten Tiefen rührte. Sie schloß die Augen, verlegen und voll Haß gegen den Gedanken, ihren Sohn als Mann sehen zu müssen. Und wie war das von seiner Seite? Sah er sie inzwischen als Frau, oder war sie für ihn noch immer jene wundervolle Chiffre: Mum? Gottverdammt, gottverdammt! Wie hat er es wagen können, erwachsen zu werden? »Weißt du eigentlich irgend etwas von Frauen, Dane?« fragte sie plötzlich.
    Er lächelte. »Die Vögel und die Bienen, meinst du das?« »Nun, das weißt du natürlich. Mit Justine als Schwester blieb dir da ja auch gar nichts anderes übrig. Als sie herausfand, was es da zwischen den Deckeln ihres Physiologie-Buches zu entdecken gab, hat sie’s ja allen laut genug in die Ohren geplärrt. Nein, ich meine, hast du davon schon mal etwas in die Praxis umgesetzt?« Er schüttelte kurz, doch nachdrücklich den Kopf, ließ sich dann neben seiner Mutter ins Gras gleiten und blickte ihr ins Gesicht. »Komisch, daß du mich das fragst, Mum. Ich meine, ich habe schon lange mit dir darüber sprechen wollen, aber ich wußte nicht, wie anfangen.«
    »Du bist erst achtzehn, Liebling. Da ist es wohl doch noch ein wenig früh, sich mit dem Gedanken zu beschäftigen, wie es mit dem Umsetzen der Theorie in die Praxis steht.« Erst
    achtzehn. Erst? Er war doch ein Mann, nicht wahr?
    »Genau darüber möchte ich mit dir reden: Es überhaupt nicht in die Praxis umzusetzen.«
    Wie kalt vom Great Divide her der Wind doch

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