Die Dornenvögel
Stirnband um den Kopf gebunden, um von herabrinnenden Schweißtropfen nicht unversehens geblendet zu werden. Dieses sogenannte Zurechthauen eines Stammes war eine gefährliche Arbeit. Eine nur minimale Fehleinschätzung, ein falscher Schlag, und er würde sich in den Fuß hacken. Lederne Kraftriemen an beiden Handgelenken verhinderten, daß der Schweiß von den Armen zu den Händen rann: Hände, die fast zierlich wirkten und die doch so kraftvoll und so überaus geschickt waren.
Meggie kauerte unmittelbar neben der Stelle nieder, wo er Hemd und Unterhemd abgelegt hatte. Sie beobachtete ihn, starrte voll Bewunderung. Ganz in der Nähe lagen drei Reserveäxte, denn Eukalyptusholz ließ selbst die schärfste Schneide im Handumdrehen stumpf werden. Sie packte den Holm einer Axt und zog sie näher, zog sie auf ihre Knie. Die Axt war so schwer, daß Meggie sie kaum heben konnte. Um so mehr wünschte sie sich, damit so mühelos umgehen zu können
wie Frank.
Sogenannte Doppeläxte wären für Eukalyptusholz nicht zu gebrauchen gewesen: zu leicht, zu wenig Wucht dahinter. Die Äxte hier waren von anderem Kaliber. Das keilförmige Eisen, der Körper, hatte am hinteren Teil, dem Nacken, eine Breite von fast drei Zentimetern, und die Schneide war rasiermesserscharf geschliffen. Der Holm saß fest im Öhr, war zur Sicherheit mit kleinen, spanartigen Holzstückchen verkeilt: Hätte sich mitten im Schlag das Eisen vom Holm gelöst, so wäre es womöglich zum tödlichen Geschoß geworden.
Es dunkelte rasch, und so mußte Frank beim Hacken mehr seinem Instinkt vertrauen als seinen Augen. Meggie wartete geduldig, bis er sie erspähen würde.
Der Baumstamm war auf der einen Seite durchgehauen. Frank drehte sich herum, leise keuchend. Dann schwang er wieder die Axt hoch und ging der anderen Seite des Baumstamms zu Leibe. Die in den Eukalyptus geschlagene Kerbe war tief und schmal: keine unnötige Vergeudung von Kraft und Arbeitszeit und auch nicht von Holz. Splitter lösten sich, größere als zuvor, und schwirrten wild umher. Frank achtete nicht darauf. Er schien schneller zu hacken, immer schneller. Tief fraß sich das Eisen der Axt in den Spalt. Und dann, urplötzlich, teilte sich der Stamm in zwei Teile, und Frank sprang leichtfüßig hoch, schon vor dem letzten Axthieb ahnend, daß es jetzt soweit war. Während die beiden Teile des Stamms nach innen kippten, landete Frank ein kurzes Stück davon entfernt sicher auf dem Boden, und er lächelte: Doch es war kein glückliches Lächeln.
Als er kam, um eine neue Axt zu holen, sah er dort seine Schwester kauern, sehr geduldig, in ihrem sauberen Nachthemdchen, das buchstäblich von oben bis unten zugeknöpft war. Noch immer kam es ihm merkwürdig vor, daß sie jetzt, statt der üppigen Lockenpracht, nur noch kurze, krause Büschel hatte. Doch irgendwie, so schien es ihm, stand ihr dieser jungenhaft wirkende Haarschnitt sogar; und plötzlich wünschte er, das würde auch so bleiben. Er kauerte sich zu ihr, die Axt quer über den Knien.
»Wie bist du aus dem Haus rausgekommen, du kleine Krabbe?«
»Ich habe gewartet, bis Stu eingeschlafen war, und dann bin ich durchs Fenster geklettert.«
»Wenn du nicht aufpaßt, wird aus dir noch ein richtiger Wildfang.«
»Na, wenn schon. Mit den Jungens zu spielen ist immer noch schöner, als ganz für mich allein zu spielen.«
»Kann’s mir denken.« Er setzte sich auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Baumstamm. Dann blickte er müde zu seiner Schwester. »Was ist denn, Meggie?«
»Frank, du gehst doch nicht wirklich fort, nicht?« Sie legte die Hände mit den abgekauten Fingernägeln auf seine Schenkel und starrte ihn von unten herauf eindringlich an, den Mund geöffnet: Da sie gegen die Tränen ankämpfte, bekam sie durch die Nase kaum Luft.
»Vielleicht doch, Meggie«, sagte er leise.
»Oh, Frank, das geht doch nicht! Mum und ich brauchen dich! Wirklich, ich weiß nicht, was wir ohne dich tun sollten!«
Ein flüchtiges Lächeln glitt über sein Gesicht, ein Grinsen fast: Wenn sie so sprach, klang das wie ein Echo von Fees Redeweise. »Meggie«, sagte er, »manchmal geht es nicht so, wie man’s gerne hätte. Das solltest du eigentlich wissen. Uns Clearys hat man beigebracht, daß Gemeinnutz vor Eigennutz kommt, daß man nie zuerst an sich selbst denken soll. Aber da bin ich anderer Meinung. Ich finde, man sollte zuerst an sich selbst denken. Ich möchte fort, weil ich siebzehn bin und es Zeit wird, daß ich mir ein
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