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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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fuhren durch sein dichtes, glattes Haar. Sie summte leise. Und eben dies war es, was ihn anrührte: ihr gleichsam mit Händen greifbares Mitgefühl. Er begann zu weinen. Stöße schienen auf seinen Körper zu treffen, wie im Krampf schüttelte es ihn. Tränen fielen auf Meggies Nachthemd. Meggie weinte nicht. Irgend etwas in ihr war alt genug, war Frau genug, um jene unwiderstehliche, wie prickelnde Freude zu empfinden: die Freude darüber, gebraucht zu werden. Und sacht schaukelte sie seinen Kopf hin und her und hin und her, bis all sein Kummer sich entleerte ins Nichts.
     
     

2. TEIL 1921-1928
    RALPH
     
     
     
     
     
    3
     
     
     
     
    Nein, dachte Pater Ralph de Bricassart, Erinnerungen an meine Jugend bringt diese Straße nach Drogheda mir nicht zurück. Die Augen gegen das grelle Sonnenlicht halb geschlossen, saß der Priester am Steuer seines neuen Daimler, der sich rumpelnd voranbewegte auf dem, was hier als Straße gelten mußte: Zwei tiefe Furchen, die Spuren von Wagenrädern, zogen sich dahin durchs hohe Silbergras. Nein, Irland war dies hier nicht - nicht die liebliche, oft nebelverhangene grüne Insel.
    Und Drogheda, was war Drogheda? Nun, jedenfalls kein Schlachtfeld und auch keine Zentrale der Macht. Aber traf das, genaugenommen, auch wirklich zu? Sein stets wacher Sinn für Humor (nur gut, daß er ihn besser unter Kontrolle hatte als in früheren Jahren) beschwor in seiner Phantasie das Bild einer Mary Carson, die etwas von einem Cromwell an sich hatte: Gewaltherrscherin alten Stils, fast schon Inbegriff bösartiger Macht. Übertrieben? Nun, zumindest übte Mary Carson Macht aus über viele Menschen - über eine ganze Heerschar, wenn man es so nennen wollte: ähnlich den Kriegsherren früherer Tage.
    Zwischen einer Gruppe von Buchs- und Eukalyptusbäumen tauchte das Gatter mit dem letzten Tor auf. Der Pater hielt, stülpte sich zum Schutz gegen die Sonne einen unansehnlichen grauen Hut mit breiter Krempe auf den Kopf. Dann stieg er aus, stapfte zum Holzpfosten, zog den Eisenbolzen aus der Querstrebe und schleuderte voll Ungeduld und Überdruß das Tor auf. Zwischen seinem Pfarrhaus in Gillanbone und dem Herrenhaus auf Drogheda gab es nicht weniger als siebenundzwanzig solcher Tore, und das bedeutete siebenundzwanzigmal die gleiche Prozedur: halten, aussteigen, Tor öffnen; einsteigen, hindurchfahren, halten; aussteigen, Tor
    schließen; wieder einsteigen und weiterfahren - bis zum nächsten Tor.
    Wie oft hatte er nicht schon daran gedacht, dieses Ritual wenigstens um die Hälfte zu kürzen: Tore einfach offen lassen und dann auf dem Rückweg flott hindurch. Aber nicht einmal sein respekteinflößender Status als Priester hätte ihn in diesem Fall davor bewahrt, von den ergrimmten Besitzern der Tore geteert und gefedert zu werden. Wäre man nur zu Pferde so schnell vorangekommen wie mit dem Auto: Die Gattertore ließen sich vom Sattel aus öffnen, und man hätte sich viel Hin und Her erspart.
    »Nun ja, es hat halt alles auch seine Schattenseiten«, sagte er laut und klopfte mit der flachen Hand gegen das Armaturenbrett des Daimler. Er fuhr weiter, legte auf der grasbewachsenen, baumlosen Home Paddock, der Hauskoppel, die letzten ein oder zwei Kilometer zurück. Das Tor hatte er wieder ordnungsgemäß verriegelt. Selbst für einen Iren, dem der Anblick von Schlössern und mächtigen Herrensitzen vertraut war, besaß dieses australische Herrenhaus etwas Imposantes. Drogheda war der älteste und größte Grundbesitz im ganzen Distrikt, und das Haus, vom stolzen (inzwischen verstorbenen) Besitzer erbaut, wurde dieser Tatsache in seiner Art und in seinen Proportionen gerecht. Es bestand aus buttergelben Sandsteinblöcken, die aus über siebenhundert Kilometer entfernten Steinbrüchen herangeschafft worden waren. Zwei Stockwerke umfaßte es, und in seinem Stil wurde es von eher strenger und nüchterner georgianischer Tradition geprägt. Es gab große Fenster mit vielen Glasscheiben und eine breite Veranda mit eisernen Säulen, die das gesamte Erdgeschoß umgab. Zu jedem Fenster gehörten schwarze, hölzerne Fensterläden, die keineswegs nur ornamentalen Zwecken dienten: Bei brütender Sommerhitze wurden sie geschlossen, damit es im Inneren des Hauses kühl blieb.
    Jetzt, im Herbst, waren die Kletterpflanzen grün, doch im
    Frühjahr bildete die Wistaria - vor fünfzig Jahren, unmittelbar nach Fertigstellung des Hauses, gepflanzt - eine überquellende Fülle von lilafarbenen Blütentrauben, die

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