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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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einem Schwung in den Nacken. »Na, erzähl mir noch was!«
    »Es ist wahr, wirklich wahr!« »Das heißt also, all das soll vergeudet sein?« »Ich fürchte ja. Er bietet es Gott dar.«
    »Na, dann ist der liebe Gott wohl so was wie ein Oberschwulie, wie?« »Da könntest du recht haben«, sagte Justine. »Jedenfalls hat er mit Frauen nicht viel im Sinn. Hinteres Parkett oder Dritter Rang, so was bleibt zur Not für uns, aber die vorderen Reihen und die Logenplätze, die sind für die Herren der Götterwelt.« »Oh - ja?«
    Justine zog sich das Elektra-Gewand aus, schlüpfte in ein dünnes Baumwollkleid und nahm nach kurzem Überlegen noch eine Strickjacke. »Mach dir keine Sorgen deswegen, Schätzchen. Zu dir war der liebe Gott wirklich lieb. Mit Grips hat er dich verschont, und glaub mir, so läßt sich’s viel bequemer leben. Dadurch bist du für die Herren da oben nie irgendwelche Konkurrenz.« »Ich weiß nicht. Wenn’s um deinen Bruder ginge, würde ich mit dem lieben Gott schon konkurrieren wollen.«
    »Vergiß es. Du kämpfst gegen das Establishment, und da sind deine Aussichten gleich Null. Deine Chancen, unseren Theaterschwulie zu verführen, sind da wirklich weitaus größer.«
    Am Flugplatz wartete auf Dane ein Auto, das ihn zum Vatikan bringen sollte. Während der Fahrt durch die sonnenüberglänzten Straßen preßte er wie ein Kind seine Nase gegen die Fensterscheibe und trank alles in sich ein, was er bislang nur von Bildern her kannte - die römischen Säulen, die
    Rokokopaläste, die Renaissancepracht von Sankt Peter.
    Und dann stand, diesmal ganz in Rot gekleidet, der Kardinal vor ihm: Ralph Raoul de Bricassart. Die Hand streckte sich ihm entgegen, der Ring daran schien zu glühen. Dane ließ sich auf beide Knie sinken, beugte den Kopf zum Kuß. »Steh auf, Dane, und laß dich ansehen.«
    Er erhob sich und blickte lächelnd den Mann an, der fast genauso groß war wie er. Für Dane besaß der Kardinal eine so starke Aura geistiger und geistlicher Kraft, ja Macht, daß sie sich eher mit seiner Vorstellung von einem Papst als von einem Heiligen verband. Doch die Augen mit ihrem eigentümlich intensiven Ausdruck von Trauer waren nicht die Augen eines Papstes. Wieviel mußte er durchlitten haben, um so zu erscheinen. Aber mit welchem Adel hatte er sich über sein Leid erhoben und war zu einem so absolut vollkommenen Priester geworden.
    Und der Kardinal betrachtete den Sohn, von dem er nicht wußte, daß es sein Sohn war: den er liebte, weil er glaubte, das sei nur selbstverständlich, da es sich ja um Meggies Sohn handelte. Einen solchen Sohn jedenfalls hätte er sich als eigenen gewünscht, so hochgewachsen, von so prachtvollem Äußeren, von einer derartigen Anmut der Bewegungen. Doch weit befriedigender als irgendwelche körperliche Schönheit war die einfache Schönheit seiner Seele. Er besaß die Stärke der Engel - und irgendwie auch etwas von ihrem unirdischen Wesen. Wie war er selbst eigentlich mit achtzehn gewesen? Auch so wie Dane? Er versuchte, sich zu erinnern, stand einen Augenblick in Grübeln versunken.
    Worin lag der Unterschied? Vielleicht darin, daß Dane dem Ruf wahrhaft aus eigenem gefolgt war, er selbst hingegen nicht? Obschon er dann doch die Berufung in sich spürte; davon war er jedenfalls heute noch überzeugt.
    »Nimm Platz, Dane. Hast du getan, was ich dir geraten habe,
    und angefangen, italienisch zu lernen?«
    »Ich spreche es schon fließend, allerdings ohne idiomatische Wendungen, und lesen kann ich es sehr gut. Wahrscheinlich kommt mir dabei zugute, daß es bereits meine vierte Sprache ist. Ich scheine ein Talent für Sprachen zu haben. In einigen Wochen müßte ich hier auch umgangssprachlich ganz gut zurechtkommen.« »Davon bin ich überzeugt. Auch ich habe Talent für Sprachen.« »Das kann ganz nützlich sein«, sagte Dane, und plötzlich hatte die rote Kardinalsgestalt etwas nahezu bedrückend Ehrfurchtgebietendes für ihn. Es fiel ihm schwer, sich klarzumachen, daß dies derselbe Mann war, mit dem er zusammen auf Drogheda ausgeritten war. Der Kardinal beugte sich vor und beobachtete ihn aufmerksam. »Ich übertrage Dir die Verantwortung für ihn, Ralph«, hatte in Meggies Brief gestanden. »Ich lege Dir sein Wohlergehen, sein Glück ans Herz. Ich gebe zurück, was ich gestohlen habe. Das wird von mir verlangt. Versprich mir nur zwei Dinge, und ich werde mich ruhiger fühlen in dem Bewußtsein, daß Du in seinem besten Interesse handelst. Erstens, versprich mir,

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