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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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zwischen einem Hoplit-Helm und der furchterregenden Maske der Pythia. Im Culloden gab es nur zwei Einzelsprich: Stargarderoben, und so hoch rangierte Justine noch nicht. Die Geschwister befanden sich hier in der Gemeinschaftsgarderobe, wo viel Betrieb herrschte. In seinem Eckchen auf dem Fußboden fühlte sich Dane vor den vielen hin und her trabenden Füßen einigermaßen sicher.
    »Dieser verdammte alte Kardinal de Bricassart!« fauchte Justine. »Vom ersten Augenblick an habe ich ihn gehaßt!« Dane lachte leise. »Das hast du nicht.« »Das habe ich doch! O
    ja!«
    »Nein, Justine. Tante Anne hat mir das mal zu Weihnachten erzählt, und ich möchte wetten, du weißt gar nichts von der Geschichte.« »Von was für einer Geschichte denn?« fragte sie mißtrauisch. »Na, als du noch ein Baby warst, hat er dir die Flasche gegeben, dich dein Bäuerchen machen lassen und dich dann in den Schlaf gewiegt. Tante Anne sagte, du seist ein furchtbar launisches Baby gewesen und hättest es nicht ausstehen können, wenn dich jemand hielt, aber bei ihm, da gefiel es dir, sehr sogar.« »Das ist eine unverschämte Lüge!«
    »Nein, das ist es nicht.« Er lächelte. »Aber warum haßt du ihn eigentlich so?«
    »Ich hasse ihn eben. Er ist wie ein knochiger alter Geier, und mir wird schon komisch, wenn ich bloß an ihn denke!«
    »Na, ich mag ihn. Ich habe ihn immer schon gemocht. Der vollkommene Priester, so hat ihn Pater Watty genannt. Und ich sehe es genauso.«
    »Ach, scheiß auf ihn, sage ich!« »Justine!«
    »Hah, diesmal hab’ ich dir doch einen Schock versetzt, wie?« »Also, Schwester, du bist wirklich ...« Er unterbrach sich, hob den Kopf. »Oh, hallo, Martha«, sagte er beiläufig. »Hallo.«
    Martha war ein außergewöhnlich schönes Mädchen. Mochte sie auch keine große Schauspielerin sein, so bildete sie auf der Bühne stets schon rein optisch einen Gewinn. Außerdem entsprach sie genau jenem Typ, von dem Dane sich angezogen fühlte: ziemlich groß, dunkle Augen und dunkle Haare, helle Haut, prachtvolle Brüste - von einem Äußeren also, das man in den Filmillustrierten gern als »sexsationell« bezeichnete.
    Sie setzte sich auf den Rand von Justines Garderobentisch und ließ, unmittelbar vor Danes Gesicht, ein Bein provozierend hin- und herschwingen. Herrgott, er war wirklich ganz unvergleichlich! Wie kam ein so völlig reizlos wirkendes
    Mädchen wie Justine nur zu einem so gutaussehenden Bruder? Wie alt war er? Achtzehn? Fast noch Kinderschändung also, aber wen scherte das? »Wollt ihr nicht zu mir rüberkommen, zum Kaffee?« fragte sie und sah Dane an. »Ihr beide, meine ich«, fügte sie widerstrebend hinzu. Justine schüttelte nachdrücklich den Kopf. Plötzlich jedoch leuchtete es in ihren Augen kurz auf. »Nein, danke, ich kann nicht. Du wirst dich mit Dane begnügen müssen.«
    Er schüttelte genauso nachdrücklich den Kopf. Dennoch blieb ein gewisses Bedauern unverkennbar. Er schien sich wirklich versucht zu fühlen. »Danke, Martha, aber leider kann ich nicht.« Wie in höchster Not warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. »Herrgott«, sagte er, »beinahe hätte ich ja das Auto vergessen. Auf der Parkuhr bleibt mir nur noch eine Minute. Wie lange brauchst du hier noch, Jus?« »Ungefähr zehn Minuten.«
    »Dann warte ich draußen auf dich, einverstanden?« »Feigling!« spottete sie.
    Marthas verführerischer Blick folgte ihm. »Er ist einfach hinreißend. Warum sieht er mich nicht an?«
    Justine lächelte säuerlich, wischte sich das Gesicht ab. Ja, gar kein Zweifel, die Sommersprossen kamen wieder. Nun, in dem Punkt würde London ihr guttun. Dort gab’s keine Sonne. »Oh, keine Sorge«, sagte sie zu Martha. »Er guckt schon. Und er möchte auch. Aber wird er? Nicht Dane.«
    »Warum denn nicht? Was ist mit ihm? Sag mir bloß nicht, er ist schwul! Scheiße, jeder wirklich gutaussehende Mann, den ich kennenlerne, ist ein Schwuler. Hätt’ ich bei Dane eigentlich nicht gedacht. Er sieht mir gar nicht so aus.«
    »Halt ja deine Zunge im Zaum, Martha! Natürlich ist er kein Homo!«
    »Na, wenn er nicht andersherum ist, warum greift er dann nicht zu? Kapiert er nicht, was ich ihm dauernd morse? Oder
    findet er, daß ich zu alt für ihn bin?«
    »Schätzchen, du wirst für den Durchschnittsmann nicht mal mit Hundert zu alt sein. Nein, Dane hat dem Sex fürs Leben abgeschworen, der Idiot. Er will Priester werden.«
    Martha starrte Justine mit offenem Mund an. Dann schleuderte sie ihr langes Haar mit

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