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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Aussehen schien ihn tief zu verschrecken. Vermutlich, dachte Justine, wäre er viel lieber häßlich oder zumindest von völlig unauffälligem Äußeren. Da sie sich einen Beruf gewählt hatte, wo der Narzißmus zu den völlig alltäglichen und absolut unvermeidlichen Übeln gehörte, war es ihr durchaus angenehm, daß Dane von seinem Aussehen nichts weiter hermachte. Aber dabei beließ er es ja nicht. Statt sein Äußeres einfach zu ignorieren, verabscheute er es - verabscheute es zutiefst. Was den Sex betraf, so schien er da keine übermäßigen Bedürfnisse zu empfinden. Über die Gründe dafür war sie sich nicht ganz im klaren. Hatte er - wie nannte man das doch nur - gelernt, seine Libido zu sublimieren, oder fehlte ihm, all seinen körperlichen Vorzügen zum Trotz, da irgendwas? Wahrscheinlich ersteres, denn er hielt sorgfältig darauf, jeden Tag irgendeinen strapaziösen Sport zu betreiben, so daß er abends »tot ins Bett« fiel. Daß seine Neigungen völlig normal, das heißt heterosexuell waren, wußte sie genau, und es war ihr auch nicht verborgen geblieben, welcher Mädchentyp ihm am meisten zusagte - hochgewachsen, brünett, üppig. Allerdings schien ihm selbst das kaum bewußt: jedenfalls nicht, daß solche Mädchen eine gewisse sinnliche Anziehungskraft für ihn besaßen. Aber
    Dinge, die mit den Sinnen zusammenhingen, nahm er ohnehin kaum wahr, nicht Formen und nicht Farben, nicht Düfte und Gerüche. Nur wenn der Reiz eines Mädchens einmal weit über das Normale hinausging, schien er zu stutzen, schien plötzlich innezuwerden, daß es auch noch eine irdische Ebene gab, auf der sich die meisten Menschen bewegten.
    Nach Ende der Vorstellung im Culloden-Theater ging Dane hinter die Bühne zu Justine. Was seine Pläne für Rom betraf, so war gerade alles endgültig geregelt worden, und er konnte es kaum erwarten, seiner Schwester die Neuigkeit zu berichten. Allerdings war ihm klar, daß sie’s nicht gerade begeistert aufnehmen würde. Über Religion und über seine Pläne, soweit sie damit in Zusammenhang standen, hatte er mit Justine weit seltener gesprochen, als er das gern getan hätte, und der Grund dafür war einfach: Sie wurde immer gleich ärgerlich, ja zornig.
    Doch als er an diesem Abend in ihre Garderobe kam, konnte er seine Freude nicht unterdrücken. »Dummkopf!« sagte sie angewidert. »Aber wenn es doch mein Wunsch ist ...« »Idiot! Kretin!«
    »Wenn du mich beschimpfst, änderst du dadurch auch nichts, Jus.« »Meinst du etwa, das ist mir nicht klar? Aber so kann ich wenigstens Dampf ablassen, und das habe ich verflixt nötig.« »Na, dazu hast du doch schon auf der Bühne Gelegenheit, wenn du Elektra spielst. Du bist wirklich gut, Jus.«
    »Nachdem mir diese Neuigkeit im Magen liegt, werde ich wohl noch besser sein«, sagte sie grimmig. »Wirst du aufs Saint Pat’s gehen?« »Nein, ich gehe nach Rom zu Kardinal de Bricassart. Das hat Mum arrangiert.«
    »Dane, nein! Das ist ja so weit weg!«
    »Na, komm doch mit. Ich meine, wenigstens nach Europa. Bei deiner Ausbildung und deinem Können müßtest du doch in England jederzeit Engagements bekommen.«
    Noch in Kostüm und Maske der Elektra saß sie vor dem Spiegel und begann sich abzuschminken. Ihre Augen wirkten noch sonderbarer als sonst. Sie nickte langsam: »Ja, das könnte ich eigentlich. Genaugenommen wird es sogar höchste Zeit. Australien ist für eine Bühnenschauspielerin auf die Dauer ein bißchen klein ... Also gut, Kumpel, abgemacht! Auf nach England!«
    »Großartig, Justine! Denk doch nur! Ich bekomme ja Ferien, weißt du. Das ist auf dem Seminar genauso wie auf der Universität. Und bestimmt ließe es sich so einrichten, daß wir beide zur selben Zeit Ferien haben. Dann könnten wir gemeinsam ein bißchen in Europa umherreisen und auch wieder nach Drogheda kommen. Oh, Jus, ich habe mir alles genau durch den Kopf gehen lassen! Zu wissen, daß du gar nicht so weit von mir entfernt bist, das würde für mich einfach alles vollkommen machen.«
    Sie strahlte. »Ja, nicht wahr? Das wäre doch kein richtiges Leben mehr, wenn ich nicht mehr mit dir reden könnte.« »Das habe ich ja kommen sehen, daß du so etwas sagen würdest.« Er grinste. »Aber im Ernst, Jus, ich mache mir Sorgen um dich. Und es wäre mir lieber, dich an einem Ort zu wissen, wo ich dich von Zeit zu Zeit sehen kann. Wie sonst könnte ich die Stimme deines Gewissens sein?«
    Er ließ sich auf den Fußboden gleiten, wo er dann in bequemer Hockstellung saß:

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