Die Dornenvögel
Priester zu werden, braucht man Jahre, und bestimmt muß man viel Leid ertragen und darf doch sein Ziel nie aus den Augen verlieren.« Das Telefon klingelte. Der Kardinal hob ab, hielt den Hörer mit leicht unsicherer Hand. Er sprach italienisch. »Ja, danke, wir kommen sofort.«
Er erhob sich. »Es wird Zeit für den Nachmittagstee, den wir gemeinsam mit einem alten, alten Freund von mir einnehmen werden. Nächst dem Heiligen Vater ist er wahrscheinlich der wichtigste Priester in der Kirche. Ich habe ihm erzählt, daß du kommst, und er hat den Wunsch geäußert, dich kennenzulernen.« »Danke, Eminenz.«
Sie gingen durch Korridore, dann durch schöne Gärten mit hohen Zypressen und Pappeln und rechteckigen Rasenflächen. Säulengänge gab es, gotische Bögen, Renaissance-Brücken. Wie während der Fahrt vom Flugplatz nahm Dane hingebungsvoll alles in sich auf. So anders als in Australien war das hier, so alt, so ewig. Obwohl sie kräftig ausschritten, brauchten sie eine Viertelstunde bis zum Palais. Sie traten ein und stiegen eine prachtvolle Marmortreppe empor. An den Wänden hingen Teppiche., Vittorio Scarbanza Kardinal di Contini-Verchese war jetzt Sechsundsechzig, und ein rheumatisches Leiden hatte seinen Körper teilweise verkrüppelt, doch sein Verstand war so wach und so scharf wie eh und je. Seine jetzige Katze, eine »Blaue Russin« namens Natascha, lag zusammengerollt auf seinem Schoß. Da er sich nicht erheben konnte, um seine Besucher zu begrüßen, beschied er sich mit einem herzlichen Lächeln und einem Winken. Sein Blick ruhte auf Ralph, glitt dann zu Danes Gesicht - und seine Augen, geweitet, verharrten völlig reglos. Für eine Sekunde hatte er das Gefühl, daß sein Herzschlag aussetzte, und unwillkürlich streckte er eine Hand nach der linken Brustseite: Noch immer starrte er wie benommen auf die
jüngere Ausgabe von Ralph de Bricassart.
»Vittorio, fehlt Ihnen etwas?« fragte Ralph besorgt und fühlte am sehr zerbrechlich wirkenden Handgelenk nach dem Puls. »Nein, nein, nichts weiter. Nur ein kleiner Schmerz, schon vorbei. Setzen Sie sich, setzen Sie sich!«
»Ich möchte Ihnen zuerst Dane O’Neill vorstellen, der, wie ich Ihnen ja bereits sagte, der Sohn einer sehr lieben Freundin von mir ist. Dane, dies ist Seine Eminenz, Kardinal di Contini- Verchese.« Dane kniete nieder, preßte die Lippen auf den Ring. Von seinem hellen Haarschopf hob sich der Blick des italienischen Kardinals und suchte Ralphs Gesicht, betrachtete es eingehender als seit vielen Jahren.
Ja, dachte er, während seine innere Anspannung ein wenig nachließ: er ist blind dafür, und sie hat ihm offenbar nie etwas gesagt. Man mußte die beiden zwar nicht unbedingt für Vater und Sohn halten, aber doch für nahe Blutsverwandte. Armer Ralph! Er hatte sich selbst nie gehen sehen, hatte den wechselnden Ausdruck seines Gesichts nie beobachtet, das eigentümliche Hochziehen seiner linken Augenbraue nie bemerkt. Wahrhaftig, Gott war gut, daß er Menschen so blind machte.
»Nehmen Sie doch Platz. Der Tee kommt. So, junger Mann! Sie möchten Priester werden und haben Kardinal de Bricassart um Beistand gebeten?« »Ja, Euer Eminenz.«
»Sie haben eine kluge Wahl getroffen. Unter seiner Hut wird Ihnen nichts geschehen. Aber Sie wirken ein wenig nervös, mein Sohn. Ist Ihnen alles noch zu fremd?«
Dane lächelte Ralphs Lächeln, vielleicht ohne den bewußten Charme darin, aber im wesentlichen doch so überaus ähnlich, daß es dem alten, müden Herzen einen eigentümlichen Stich gab. »Ich bin einfach überwältigt, Euer Eminenz. Ich hatte mir nicht so ganz klargemacht, wie bedeutend Kardinale doch sind. Ich hätte mir nie träumen lassen, mit dem Auto vom Flugplatz
abgeholt zu werden oder mit Ihnen Tee zu trinken.«
»Ja, es ist ungewöhnlich ... Könnte womöglich gar ein Stein des Anstoßes werden. Nun ja. Ah, hier ist unser Tee!« Mit zufriedenem Gesichtsausdruck beobachtete er, wie das Geschirr hingestellt wurde. Er hob die Hand, einen Finger emporgestreckt. »O nein! Ich werde >Mutter< sein. Wie nehmen Sie Ihren Tee, Dane?«
»Genauso wie Ralph«, erwiderte Dane und wurde dann über und über rot. »Ich bitte um Verzeihung, Euer Eminenz, das wollte ich nicht sagen!«
»Ist schon recht, Dane, Kardinal di Contini-Verchese versteht. Wir waren früher füreinander Dane und Ralph und haben uns doch nicht schlecht miteinander gestanden, nicht wahr? Förmlichkeit ist in unserem Verhältnis etwas Neues. Es wäre mir lieber,
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