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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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haben wollen? Ich freue mich, daß du mir die Gelegenheit gibst, mal einen Blick auf die Burschen im Seminar zu werfen, obwohl das mir gegenüber ja nicht ganz fair ist - von wegen Hände weg und so.«
    Sie trat ans Fenster, blickte hinab auf den schäbigen kleinen Platz mit den beiden schlaffen Platanen im umpflasterten Viereck. Zur linken Hand sah man eine Kirche, die wahrlich alles andere war als eine architektonische Offenbarung. Schicht nach Schicht schien dort abzublättern. »Dane ...«
    »Ja?«
    »Ich verstehe. Ich verstehe wirklich.«
    »Ja, ich weiß.« Das Lächeln verschwand von seinem Gesicht. »Ich wünschte, auch Mum würde verstehen, Jus.«
    »Bei Mum ist das anders. Sie hat das Gefühl, daß du sie verlassen hast. Sie weiß noch nicht, daß das nicht stimmt. Aber laß nur. Sie wird es schon noch erkennen.«
    »Hoffentlich.« Er lachte. »Übrigens sind es nicht die Burschen aus dem Seminar, die du heute kennenlernen wirst. Da wäre mir die Versuchung doch für sie wie für dich zu groß. Es ist Kardinal de Bricassart. Ich weiß, daß du ihn nicht magst, aber bitte versprich mir, daß du dich anständig benimmst.«
    In ihren Augen leuchteten eigentümliche, wie irrlichternde Punkte auf. »Oh! Natürlich verspreche ich das! Ich werde sogar jeden Ring küssen, den man mir hinhält.«
    »Oh, du erinnerst dich! Ich war damals so wütend auf dich, als du mich vor ihm blamiert hast.«
    »Nun, seitdem habe ich einen Haufen Dinge geküßt, die weniger hygienisch sind als ein Ring. In der Schauspielklasse zum Beispiel war so ein pickelgesichtiger junger Kerl, der einen Mundgeruch hatte, daß einem sämtliche Plomben rausfielen. Das war nicht nur Karies, das waren auch halbverfaulte Mandeln und ein permanent übler Magen dazu. Und den Jungen durfte ich küssen, und zwar insgesamt neunundzwanzig Mal. Ich versichere dir, Kumpel, danach ist für mich nichts mehr unmöglich.« Vor dem Spiegel schob sie ihr Haar zurecht, wandte sich dann um. »Habe ich noch Zeit, mir etwas anderes anzuziehen?«
    »Oh, mach dir da keine Sorgen. Du siehst so prächtig aus.«
    »Wer wird noch da sein?«
    Die Sonne stand schon zu tief, um dem alten Platz vor der Pension noch Wärme spenden zu können, und die Platanen wirkten wie von Lepra zerfressen.
    »Kardinal di Contini-Verchese wird noch da sein.«
    Das war ein Name, den sie häufiger gehört hatte. Ihre Augen weiteten sich ein wenig. »Oho! Du bewegst dich ja wirklich in hochgestellten Kreisen, wie?«
    »Ja. Und ich gebe mir Mühe, das auch wert zu sein.«
    »Sag mal, Dane«, fragte sie listig, »heißt das vielleicht, daß dir manche Leute, die von der Vorzugsbehandlung, die du dort genießt, nicht sehr angetan sind, das Leben um so schwerer machen?« »Nein, eigentlich nicht. Es ist nicht wichtig, wen man kennt. Ich sehe das nie so, und andere auch nicht.«
    Der Raum, die roten Männer! Noch nie war sich Justine so bewußt gewesen, daß es Männer gab, in deren Dasein Frauen etwas völlig Überflüssiges zu sein schienen - außer als dienende Nonnen. Als sie eintrat, hatte sie noch das olivgrüne Leinenkostüm an, das sie während des letzten Teils der Bahnreise getragen hatte, und natürlich waren die Knitterfalten nicht zu übersehen. Verflixt! dachte sie, während sie über den weichen, karmesinroten Teppich schritt. Ich wünschte wirklich, Dane hätte dafür gesorgt, daß mir mehr Zeit blieb, ich hätte mich unbedingt umziehen sollen. Kardinal de Bricassart erwartete sie stehend. Er lächelte. Was für ein gutaussehender Mann er doch immer noch war! »Meine liebe Justine«, sagte er und hielt ihr die Hand mit dem Ring hin. Das ein wenig boshafte Aufleuchten in seinen Augen verriet, daß er sich sehr wohl erinnerte, wie sie seinerzeit auf den Ring reagiert hatte. Doch weshalb sein Blick dann so forschend auf ihrem Gesicht lag, begriff sie nicht. »Sie sehen Ihrer Mutter gar nicht ähnlich«, sagte er.
    Sie kniete nieder, auf ein Knie, küßte den Ring, lächelte demütig, erhob sich, lächelte weniger demütig. »So, tu’ ich das nicht? Nun, in meinem Beruf hätte mir ihre Schönheit vielleicht in gewisser Weise nützen können. Allerdings - auf der Bühne komme ich auch ohne aus. Dort kommt’s nämlich nicht darauf an, wie ein Gesicht wirklich ist, wissen Sie. Sondern darauf, ob man über die Kunst verfügt, das Publikum ein Gesicht in einer ganz bestimmten Weise sehen zu machen.«
    Aus einem Sessel erklang ein eigentümlicher Laut, kurz, trocken, offenbar ein amüsiertes

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