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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Klasse reist eine ganze Rugby-Mannschaft mit, und es sind ein paar richtige Prachtkerle darunter. Es wird also nicht so langweilig werden, wie ich dachte.«
    »Nun, bist du nicht froh, daß ich auf der ersten Klasse bestanden habe?«
    »Glaub’ schon.«
    »Glaub’ schon!?« Plötzlich gingen Meggie die Nerven durch. Dieses undankbare Biest! Aber das Schlimmste bei allem war, daß sie nicht einmal so tat, als ob ihr der Abschied wenigstens ein bißchen schwerfiele. »Du querköpfiges, eigensinniges, egoistisches Ding! Du verstehst es wirklich, mich aufzuregen! Und du hast das seit jeher verstanden!«
    Justine antwortete nicht sofort. Sie wandte ihr Gesicht ab, und ihre Aufmerksamkeit schien ausschließlich dem Gongzeichen zu gelten, das alle von Bord rief, die nicht mit der »Himalaya« fuhren. Justine biß sich auf die leicht zitternde Unterlippe, verzog den Mund dann zu einem Lächeln und blickte zu ihrer Mutter. »Ich weiß, daß ich dich aufrege«, sagte sie in burschikosem Tonfall. »Aber laß nur. Jeder ist nun mal so, wie er ist. Du sagst ja immer, daß ich meinem Dad nachschlage.«
    Die Abschiedsumarmung zwischen beiden fiel entsprechend steif aus, und so konnte es kaum verwundern, daß Meggie eher froh war, als sie jetzt inmitten einer Menschenmenge das Schiff verließ. Justine ging hinauf zum Sonnendeck und stellte sich dort an die Reling, Rollen bunter Papierschlangen in der Hand. Bald sah sie, wie unten am Kai die Gestalt im rötlich-grauen Kleid auf die verabredete Stelle zuschritt. Komisch, daß sich auf diese Entfernung Mums Alter verriet. Sie ging so ganz allmählich auf die Fünfzig zu, das zeigte die Haltung, die Art, sich zu bewegen. Sie winkten beide im selben Augenblick, dann warf Justine die erste Papierschlange, und Meggie fing geschickt das andere Ende auf. Und der ersten Papierschlange folgten weitere, eine rote und eine blaue, eine gelbe und eine grüne, eine rosa- und eine orangefarbene. In der Brise schwangen die bunten Bänder spiralenartig herum und herum. Für die Rugby-Mannschaft spielte eine Band zum Abschied: »Now is the Hour«, oder irgend etwas, das so ähnlich klang, und an der Reling drängten sich die Menschen und hielten krampfhaft ihr Ende der jeweiligen Papierschlange fest, während am Kai Hunderte mit gereckten Hälsen standen und hinaufspähten zu den Gesichtern jener, die jetzt auf der »Himalaya« davonfuhren. Die Gesichter junger Menschen waren es zumeist, und sie reisten zur anderen Seite der Welt, um zu sehen, wie das Leben dort, im Zentrum der Zivilisation, sein mochte. Manche von ihnen würden vielleicht in ein oder zwei Jahren zurückkehren, andere nie.
    Am blauen Himmel trieben silberweiße Wolken. Ein scharfer Wind blies, typisch für Sydney. Dennoch besaß die Sonne eine erstaunliche Kraft. Die »Himalaya« hatte abgelegt, und zwischen Schiff und Ufer spannte sich eine Vielzahl vibrierender bunter Bänder. Doch immer weiter klaffte die Lücke zwischen Dampfer und Kai, die unzähligen Papierschlangen zerrissen, und Schluchzen und Rufen und Schreien erfüllte die Luft. Kreuz und quer fielen die farbigen Bänder aufs Wasser, zu allem, was dort schwamm und trieb, Ölreste und Holz, Orangenschalen und Quallen.
    Justine blieb an der Reling, bis der Kai, weit entfernt, nichts mehr war als ein Gebilde aus wenigen harten Strichen und kleinen rosa Punkten. Die Schleppdampfer manövrierten die »Himalaya« unter der Sydney Harbor Bridge hindurch.
    Fast hätte man meinen können, auf der Fähre zu sein, mit der man sonst nach Manly fuhr. Die Route war zunächst die gleiche, vorbei an Neutral Bay und Rose Bay und Cremorne und Vaucluse. Doch diesmal ging es weiter, hinaus durch die Heads - zum Ozean. Rund zwanzigtausend Kilometer waren es bis zum Ziel auf der anderen Seite der Welt, und ob die Menschen auf diesem Schiff nun je wieder zurückkehrten oder nicht, sie würden weder hierhin noch dorthin gehören, weil sie dann auf zwei verschiedenen Kontinenten gelebt hatten - in zwei verschiedenen Welten.
    London, so entdeckte Justine, konnte eine überaus verlockende Stadt sein, falls man über das nötige Kleingeld verfügte, denn sonst war man gezwungen, in Jugendherbergen zu wohnen und für ein Almosen irgendwo in einem Büro, in einer Schule oder in einem Krankenhaus zu arbeiten: typisch »australische« Schicksale. Für jemanden, der ein warmes, ja heißes Klima gewohnt war, bedeutete es wahrlich kein Vergnügen, in kalten, klammen Zimmern klappernd vor Gebilden zu sitzen,

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