Die Dornenvögel
einfach.«
Ganz so »erschlagen« wirkte Dane keineswegs. »Ich habe mich schon gefragt, wie lange es wohl dauern würde«, erklärte er. »Wenn man bei Justine am Lack kratzt, dann kommt darunter eine Rebellin zum Vorschein. Das ist einer der großen Vorzüge, den sie als Schwester für mich hat. Ich selbst bin zwar kein Rebell, aber ich bewundere Rebellen.«
Herr Hartheim setzte sich so, daß er Justine im Auge behalten konnte, auch wenn sie sich, nach dem Streicheln der Katze, wieder aufrichtete. Und in eben diesem Augenblick schien das Tier der Hand mit dem fremdartigen weiblichen Geruch überdrüssig zu werden. Ohne sich hochzustellen auf die Beine, schlängelte sich die Katze hinüber vom roten Schoß zum grauen, und schob sich unter Hartheims kräftige Hände und begann, kaum daß sie von ihnen gestreichelt wurde, so laut zu schnurren, daß alle lachten. Justine konnte eine Pointe genießen, auch wenn sie auf ihre Kosten ging. Hauptsache, es war eine gute Pointe. »Na, dann entschuldige mal, daß ich überhaupt lebe, Natascha«, sagte sie. »Ihr Motor ist so gut wie eh und je«, erklärte Rainer Hartheim, und seine unverkennbare Belustigung veränderte sein Gesicht auf faszinierende Weise. Sein Englisch war so gut, daß man kaum einen Akzent hörte. Allerdings hatte es amerikanischen Einschlag, mit gerolltem R. Der Tee kam, und sonderbarerweise war es Rainer Hartheim, der einschenkte. Als er Justine ihre Tasse reichte, wirkte sein Blick wesentlich freundlicher als zuvor.
»In britischer Gesellschaft ist der Nachmittagstee die wichtigste Erfrischung am ganzen Tag«, sagte er. »Bei einer Tasse Tee wird oft Wichtiges - wenn nicht gar das Wichtigste
- entschieden, nicht wahr? Warum das so ist, läßt sich, glaube ich, ziemlich leicht erklären. Der Tee ist sozusagen von Natur aus besonders geeignet, jederzeit zwischen zwei und halb sechs eingenommen zu werden, und Sprechen ist eine Tätigkeit, die Durst macht.«
Die folgende halbe Stunde schien seiner These in vielem recht zu geben. Justine beteiligte sich an dem Gespräch nicht, um so intensiver unterhielten sich die vier Männer. Die Themen reichten vom angegriffenen Gesundheitszustand des Heiligen Vaters bis zum Kalten Krieg. Das Erstaunliche für Justine war, daß ihr Bruder nicht nur sehr aktiv am Gespräch teilnahm, sondern daß die übrigen drei Männer, die ja alle wesentlich älter waren als er, ihm mit soviel ernster Aufmerksamkeit zuhörten. Nein, nicht nur Aufmerksamkeit, das war mehr. Aber was genau war es? Eine Art Scheu und Ergebenheit, fast so etwas wie Demut sprach aus ihrer Haltung. Warum nur? In Dane schien sich für sie etwas zu verkörpern, das sie in sich selbst nicht fanden. Wie sollte man es benennen? Etwas Heiligmäßiges, ja, das war es wohl.
Sonderbar: ihr, Justine, wäre es schwergefallen, Dane so ernst zu nehmen, wie diese Männer es taten. Dabei unterschätzte sie ihn keineswegs, hatte es eigentlich nie getan. Sie wußte, wie intelligent und verständig er war, und auch dieser heiligmäßige Zug an ihm war ihr durchaus nicht fremd, nur ...
Bisher hatte er zu ihrer Welt gehört. Jetzt mußte sie sich daran gewöhnen, daß er nicht mehr dazu gehörte.
»Wenn Sie direkt zu Ihren Andachtsverrichtungen zurückkehren wollen, Dane, begleite ich Ihre Schwester gern zu ihrem Hotel«, sagte Rainer Hartheim, und er wartete eine Antwort gar nicht erst ab. Und so schritt sie denn, ehe es ihr recht bewußt wurde, in Gesellschaft dieses außergewöhnlich kraftvollen Mannes einen Korridor entlang, stieg dann die Marmortreppe hinab. Draußen im gelben Schein des römischen Sonnenuntergangs nahm er sie beim Ellbogen und führte sie zu einem schwarzen Mercedes, bei dem in achtungsvoller Haltung ein Chauffeur stand.
»Kommen Sie«, sagte er. »Sie wollen Ihren ersten Abend in Rom doch sicher nicht allein verbringen, und Dane ist anderweitig in Anspruch genommen.« Er manövrierte sie gleichsam in den Wagen und stieg dann selbst ein. »Sie sind müde und durcheinander. Da ist es für Sie besser, wenn Sie Gesellschaft haben.«
»Eine Wahl scheinen Sie mir ja nicht zu lassen, Herr Hartheim.« »Es wäre mir lieber, wenn Sie mich Rainer nennen.« »Sie müssen ein wichtiger Mann sein, wenn Sie einen solchen Luxuswagen und Ihren eigenen Chauffeur haben.« »Ich werde noch wichtiger sein, wenn ich deutscher Bundeskanzler bin.«
Justine ließ ein spöttisches Lachen hören. »Ich wundere mich, daß Sie’s nicht bereits sind.« »Unverschämtheit!
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