Die Dornenvögel
Lachen. Wieder beugte sie das Knie, um an einer alten Hand einen Ring zu küssen, doch als sie diesmal den Kopf hob, blickte sie in dunkle Augen, in denen sie sonderbarerweise Liebe sah: Liebe für sie, für jemanden, den sie noch nie gesehen hatte. Nein, sie irrte sich nicht, der Ausdruck war wirklich da. Kardinal de Bricassart fand sie keinen Deut sympathischer als damals, als sie fünfzehn gewesen war. Aber für diesen alten Mann begann sie sich zu erwärmen.
»Nehmen Sie doch Platz, meine Liebe«, sagte Kardinal de Contini-Verchese und deutete auf den Sessel neben dem seinen. »Hallo, Mieze«, sagte Justine und streichelte die blaugraue Katze auf seinem scharlachroten Schoß. »Sie ist hübsch, nicht?« »Das ist sie in der Tat.«
»Wie heißt sie?« »Natascha.«
Die Tür ging auf, und ein Mann trat ein. Doch kein Priester, wie Justine zu ihrer Erleichterung sah. Gott sei Dank, dachte sie. Noch eine rote Soutane, und ich bekomme allmählich Schreikrämpfe. Ein gewöhnlicher Mann war er jedoch keinesfalls. Obwohl durchaus nicht klein, wirkte er durch seinen überaus kraftvoll gebauten Körper eher kurzwüchsig. Dafür sorgten die breiten Schultern, der mächtige Brustkorb, das große Löwenhaupt, die langen Arme. Wie bei einem Schafscherer, dachte Justine. Irgendwie war es sonderbar: Er machte den Eindruck eines Menschen, der sich so blitzschnell und mit soviel Kraft zu bewegen verstand, daß andere gar nicht dazu kamen zu reagieren, bevor er zupackte, um, vielleicht, zu zermalmen - doch waren seine Bewegungen nie ziellos, nie ohne Zweck. Gleichzeitig vermittelte er aber auch den Eindruck einer alles andere als durchschnittlichen, womöglich sogar überragenden Intelligenz. Er war von dunklem Typus, doch besaß seine dichte Haarmähne den Farbton von Stahlwolle und lag in ebenso winzigen, regelmäßigen Wellen, wie sich Stahlwolle zu krümmen pflegte. »Rainer, Sie kommen gerade zur rechten Zeit«, sagte Kardinal di Contini-Verchese und deutete auf den Sessel zu seiner anderen Seite. Der Mann küßte den Ring, und als er sich wieder erhob, blickte der Kardinal zu Justine. Er sprach nach wie vor englisch. »Ich möchte Sie mit einem sehr guten Freund bekannt machen, mit Herrn Rainer Moerling-Hartheim. Rainer, das ist Danes Schwester Justine.« Der Mann verbeugte sich, bedachte Justine mit einem Lächeln, das ohne Wärme war, und setzte sich. Plötzlich schien er weit entfernt, und unwillkürlich atmete Justine auf, vor allem, als sie sah, daß Dane sich auf dem Boden neben Kardinal de Bricassarts Sessel niedergelassen hatte. Er, den sie kannte und liebte, befand sich für sie wirklich genau im Blickpunkt, und das besaß für sie etwas angenehm Beschwichtigendes.
Und doch, und doch ... So ganz konnte nicht einmal die Gegenwart ihres Bruders das wettmachen, was sie zunehmend als irritierend empfand: diesen Raum und die roten Männer und den Mann vom dunklen Typus - und vor allem die Art, in der sie ihre Gesellschaft zwar duldeten, während sie sie aus ihrer Gemeinschaft auszuschließen schienen.
Und so beugte sie sich zur Seite und streichelte wieder die Katze, wobei ihr instinktiv bewußt war, daß der italienische Kardinal den Grund für ihre Reaktion begriff und sich darüber amüsierte. »Ist sie eigentlich unfruchtbar gemacht worden?« fragte Justine. »Natürlich.«
»Natürlich! Obwohl ich nicht ganz begreife, weshalb Sie sich eigentlich die Mühe gemacht haben. Ein weibliches Wesen, das sich hier längere Zeit aufhält, muß ja ganz unvermeidlich zum Neutrum werden.«
»Ganz im Gegenteil, meine Liebe«, sagte der alte Kardinal, der an ihr sein riesiges Vergnügen hatte. »Wir Männer sind’s, die uns psychologisch zum Neutrum gemacht haben.« »Ich bitte, anderer Ansicht sein zu dürfen, Euer Eminenz.« »Unsere kleine Welt ist Ihnen also zuwider?«
»Nun, sagen wir, daß ich mir ein wenig überflüssig vorkomme, Euer Eminenz. Ein ganz hübscher Ort, um ihn mal zu besuchen - aber nichts, wo ich leben möchte.«
»Das kann ich Ihnen nicht verübeln. Und ich bezweifle auch, daß Sie wenigstens den Besuch genießen. Aber Sie werden sich an uns gewöhnen, denn Sie müssen uns oft besuchen, bitte.« Justine lächelte, nein, grinste. »Wenn von mir erwartet wird, daß ich meine besten Sonntagsmanieren zur Schau trage«, sagte sie freimütig, »dann gehen sie immer sehr schnell mit mir durch - und Danes Entsetzen kann ich von hier aus spüren, ohne ihn auch nur anzusehen. Das erschlägt ihn
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