Die Dornenvögel
Katholik, und mein Glaube hat mich nie im Stich gelassen, sooft ich im Leben auch versagt habe„ Über Dane möchte ich nicht sprechen, weil mir scheint, daß es gewisse Dinge gibt, die besser unausgesprochen bleiben. Mit Sicherheit sind Sie in Ihrer Einstellung zum Leben und zu Gott nicht wie er. Lassen wir es dabei, einverstanden?« Sie betrachtete ihn stumm, voll eigentümlicher Neugier. Dann sagte sie: »Einverstanden, Rainer, wenn Sie es so wollen. Und unsere Abmachung, meine ich, sollte lauten, daß wir über zwei Dinge niemals sprechen - über Danes Besonderheit und über Religion.«
Seit jener Begegnung mit Ralph de Bricassart im Juli 1943 hatte Rainer Moerling-Hartheim vieles erlebt. Eine Woche nach dem Gespräch mit dem Priester wurde sein Regiment an die Ostfront verlegt. Dort lernte er den Krieg in seiner ganzen Härte und Grausamkeit kennen: die Konsequenz der Wahnsinnspolitik eines Adolf Hitler. Es fehlte an Soldaten, an Munition. Die Winterkälte war grauenvoll. Und hilflos, vor Kälte und Angst halb von Sinnen, mußten er und seine Kameraden immer wieder mit den Angriffen russischer Partisanen rechnen. Manchmal sprangen Chruschtschows Leute mit Fallschirmen aus ziemlich tieffliegenden Flugzeugen ab, landeten irgendwo in Schneewehen.
Daß Rainer immer häufiger Zuflucht zum Gebet nahm, geschah eher instinktiv, fast mechanisch. Seine Lippen murmelten, ohne daß er recht wußte, worum oder wofür er eigentlich betete: ... mehr Patronen für meinen Karabiner ... bloß den Russen nicht in die Hände fallen ... die unsterbliche Seele ... Deutschland ... der Mann in der Basilika von Sankt Peter.
Dies waren die beiden tiefsten Erinnerungen, die er mitnahm aus dem Krieg: die erbitterten Kämpfe in grausamer Kälte und das Gesicht von Ralph de Bricassart, Schrecken und Schönheit, Teufel und Gott.
Um die Jahreswende 1944/45 befand er sich mit seinen Kameraden auf dem Rückzug durch Polen. Fast alle hatten nur einen Gedanken: in jenes Gebiet zu gelangen, das von den Briten oder den Amerikanern besetzt sein würde. Wer in russische Gefangenschaft geriet, mußte mit dem Schlimmsten rechnen. Rainer Hartheim vernichtete seine Papiere und vergrub seine Kriegsauszeichnungen, das Eiserne Kreuz II. und I. Klasse. Schließlich schlüpfte er in gestohlene Zivilkleidung und meldete sich an der dänischen Grenze bei den britischen Behörden. Er wurde nach Belgien gebracht, in ein Lager für Displaced Persons. Dort verbrachte er ein Jahr, mit Brot und Mehlsuppe als fast ausschließlicher Verpflegung. Es war den Briten unmöglich, die Tausende und aber Tausende in ihrer Obhut besser mit Lebensmitteln zu versorgen.
Zweimal forderten die Briten ihn auf, von Ostende mit einem Auswandererschiff nach Australien zu fahren. Er werde gültige Papiere erhalten, brauche für die Überfahrt nicht zu bezahlen, müsse dann in Australien allerdings zwei Jahre lang jede Arbeit verrichten, die man ihm behördlicherseits zuweise. Danach sei er sein eigener Herr, so etwas wie Sklavenarbeit brauche er nicht zu fürchten, und natürlich werde er einen völlig normalen Lohn erhalten. Beide Male gelang es ihm, sich aus der für ihn prekären Situation herauszureden. Er hatte Hitler gehaßt, nicht Deutschland, und er schämte sich nicht, Deutscher zu sein. Heimat, das war für ihn nur Deutschland, und die vergangenen drei Jahre hatte er unablässig von einem Leben dort nach dem Krieg geträumt. Schon der Gedanke, in einem anderen Land leben zu müssen, dessen Sprache er nicht sprach und wo niemand seine Sprache verstand, war für ihn voller Schrecken. Schließlich entließ man ihn, und Anfang 1947 befand er sich dann völlig mittellos in Aachen, begierig, sich in Deutschland endlich ein neues Leben zu schaffen, und fest davon überzeugt, daß ihm das auch gelingen werde.
Auf keinen Fall wollte er so weiterleben wie bisher, in
Armut und gleichsam im Schatten. Sein Glück wollte es, daß er nicht nur ein sehr ehrgeiziger junger Mann war, sondern gleichzeitig auch so etwas wie ein Genie, ein technisches Genie. Er begann bei Grundig zu arbeiten und sich intensiv mit einem Gebiet zu befassen, das ihn faszinierte, seit er das erste Mal etwas Genaueres über Radar erfahren hatte: Elektronik. Bald entwickelte er eine Vielzahl eigener Ideen, die viel, sehr viel Geld wert waren. Und er weigerte sich, sie für ein Millionstel ihres wirklichen Wertes an Grundig zu verkaufen. Statt dessen untersuchte er sehr genau die Marktlage und heiratete dann die
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