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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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ist da schon«, sagte er, »manchmal sogar physiognomisch, allerdings mehr im Gesichtsausdruck als in den Gesichtszügen. Das gilt für die Augen und für den Mund. Die Art, wie Sie die Augen öffnen, wie Sie Ihre Lippen geschlossen halten. Sonderbarerweise ist das aber keine Ähnlichkeit, die Sie mit Ihrem Onkel, dem Kardinal, teilen.«
    »Mit meinem Onkel, dem Kardinal?« wiederholte sie verdutzt.
    »Kardinal de Bricassart. Ist er denn nicht Ihr Onkel? Ich bin sicher, daß man mir gesagt hat, er sei es.«
    »Der alte Geier? Der ist mit uns doch nicht verwandt, dem Himmel sei Dank. Vor vielen Jahren war er bei uns Gemeindepfarrer - lange, bevor ich geboren wurde.«
    Sie war sehr intelligent, aber jetzt war sie vor allem sehr müde.
    Armes, kleines Mädchen - denn genau das war sie: ein kleines Mädchen. Die zehn Jahre Altersunterschied zwischen beiden klafften auf wie ein ganzes Jahrhundert. Ein rasch geäußerter Verdacht würde ihre Welt wohl in Trümmer legen, und offenbar war es eine Welt, die sie doch sehr liebte und die sie tapfer verteidigen würde.
    Mehr noch: sehr wahrscheinlich würde sie sich blind stellen, würde einfach nicht sehen wollen, wenn man ihr geradezu sagte, was wohl auf der Hand lag.
    Was also tun? Wie das Ganze unwichtig erscheinen lassen? Nun, keinesfalls auf dem Thema beharren. Aber es auch nicht sofort fallenlassen.
    »So erklärt sich das also«, sagte er beiläufig.
    »So erklärt sich was?«
    »Nun, daß Danes Ähnlichkeit mit dem Kardinal mehr allgemeiner Natur ist - Größe, Körperbau und dergleichen.«
    »Oh! Meine Großmutter hat mir erzählt, daß unser Vater dem Kardinal im Typ ziemlich glich«, erklärte Justine unbeschwert.
    »Haben Sie selbst Ihren Vater nie gesehen?«
    »Nicht mal ein Bild von ihm. Er und Mum trennten sich endgültig, bevor Dane zur Welt kam.« Sie winkte den Kellner herbei. »Noch einen Cappuccino, bitte.«
    »Justine, Sie sind eine Wilde! Lassen Sie mich für Sie bestellen!«
    »Nein, verdammt noch mal, kommt nicht in Frage! Ich kann durchaus für mich selbst denken und brauche keinen so blöden Mann, der mir dauernd sagt, was ich will und wann ich’s will, hören Sie?«
    »Kratze am Lack und du findest eine Rebellin. Dane hat’s ja gesagt.«
    »Und er hat recht! Oh, wenn Sie wüßten, wie sehr ich’s hasse, gehätschelt und bevormundet zu werden! Ich kann für mich selbst einstehen, und ich lasse mir nicht sagen, was ich zu tun habe! Ich lasse mir von keinem in die Parade fahren. Oder ich fahre ihm in die Parade.«
    »Das sehe ich«, sagte er trocken. »Wie kommt das bei
    Ihnen? Ist das so etwas wie eine Familieneigenschaft?«
    »Familieneigenschaft? Weiß ich nicht. Es sind nicht genügend Frauen da, um das sagen zu können. Nur eine pro Generation. Nanna, Mum und ich. Aber ein Haufen Männer.« »Außer in Ihrer Generation. Da gibt’s ja keinen Haufen Männer. Nur Dane.«
    »Nun ja, meine Mutter hat sich schon früh von meinem Vater getrennt, und für einen anderen Mann interessierte sie sich dann offenbar nicht mehr. Schade eigentlich. Ich meine, sie ist ziemlich häuslich und hätte bestimmt gern einen Mann umsorgt.« »Ist sie wie Sie?« »Das glaube ich kaum.« »Aber ihr habt euch gern?«
    »Mum und ich?« Sie lächelte ohne jeden Anflug von Bitterkeit, so ähnlich wie ihre Mutter gelächelt haben würde, hätte man sie gefragt, ob sie ihre Tochter gern hatte. »Ich bin nicht sicher, ob wir uns mögen, aber irgend etwas ist da schon, vielleicht nur biologische Bande, ich weiß nicht.« Ihre Augen leuchteten eigentümlich. »Ich habe mir immer gewünscht, daß sie mit mir so spräche wie mit Dane und daß auch unser Verhältnis zueinander so ähnlich wäre wie das Verhältnis zwischen ihr und Dane. Aber bei einer von uns beiden fehlt es da offenbar an irgend etwas. Wahrscheinlich bei mir. Sie ist ein viel feinerer Mensch als ich.«
    »Da ich sie nicht kenne, kann ich dazu nichts sagen. Doch falls es für Sie ein Trost sein sollte: Sie gefallen mir genauso, wie Sie sind. Nein, ich würde an Ihnen nichts ändern, nicht einmal diese etwas lächerliche Aufsässigkeit.«
    »Das ist aber reizend von Ihnen. Wo ich Sie doch gerade erst gekränkt habe. Ich bin wirklich nicht wie Dane, nicht?« »Dane ist überhaupt nicht wie irgend jemand sonst auf dieser Welt.« »Sie meinen, er ist nicht von dieser Welt?«
    »So ungefähr.« Er beugte sich vor. Aus dem Schatten schob er sein Gesicht in den flackernden Schein der Kerze in der
    Chianti-Flasche. »Ich bin

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