Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
Vom Netzwerk:
Wunder. Da war kein Raum für etwas, das nicht Gott war. Dies war sein Tag der Tage, und nur eines galt es jetzt zu tun: sein Leben und seine Seele Gott weihen. Ihm, ja, ihm würde es wahrscheinlich gelingen, über das bloße Ritual hinaus. Doch wie vielen sonst war es wirklich gelungen? Nicht dem Kardinal, obschon er sich sehr deutlich daran erinnerte, daß seine eigene Weihe voll heiliger Wunder gewesen war. Er hatte es versucht, mit aller Kraft, und hatte dennoch ein Letztes, ein Allerletztes in sich zurückgehalten.
    Gar so weihevoll ging es nicht zu bei meiner Weihe, aber durch ihn erlebe ich es zum zweiten Mal. Und frage mich, wie er und wer er in Wahrheit ist, daß es ihm, all unseren Befürchtungen zum Trotz, über so viele Jahre hinweg gelingen konnte, unter uns zu leben, ohne sich auch nur einen einzigen Nicht-Freund zu schaffen, geschweige denn einen Feind. Er liebt alle und wird von allen geliebt. Nie kommt es ihm auch nur für eine Sekunde in den Sinn, daß dies ein außergewöhnlicher Zustand ist. Aber als er damals zu uns kam, war er seiner selbst noch keineswegs so sicher. Dieses Bewußtsein hat er durch uns erhalten, und es mag sein, daß unsere Existenz dadurch gerechtfertigt ist. So unendlich viele sind hier zu Priestern geweiht worden, Tausende und aber Tausende, und dennoch ist es bei ihm etwas Besonderes. Oh, Meggie! Warum bist du nicht gekommen, um zu sehen, welche Gabe du unserem Herrgott gegeben hast - eine Gabe, die ich ihm nie geben konnte, als Priester, dem ein Sohn versagt bleiben muß. Aber dadurch, glaube ich, kann er hier heute frei von Schmerz sein. Denn für diesen Tag habe ich die Macht und die Kraft, seinen Schmerz auf mich zu nehmen, damit er frei davon ist. Ich weine seine Tränen, ich trauere an seiner Statt. Später drehte er den Kopf und blickte zu der Reihe der Drogheda-Männer in ihren fremdartigen dunklen Anzügen. Bob, Jack, Hughie, Jims, Patsy. Ein leerer Stuhl, für Meggie; dann Frank. Justines Flammenhaar schimmerte gedämpft unter einem schwarzen Spitzenschleier. Neben ihr saß Rainer. Und dann kamen noch viele Leute, die er nicht kannte, die jedoch gleichfalls intensiv Anteil zu nehmen schienen.
    Dieser Tag war ein besonderer Tag, auch für ihn selbst. Fast hatte er das Gefühl, seinerseits einen Sohn herzugeben. Er lächelte und seufzte. Wie erst mußte Vittorio zumute sein? Denn er war es ja, der Dane die Priesterwürde verlieh.
    Bei dem Empfang, den Kardinal di Contini-Verchese und Kardinal de Bricassart für Dane gaben, nahm dieser sehr bald Justine beiseite. In seiner schwarzen Soutane mit dem hohen weißen Kragen sah er großartig aus, fand sie; allerdings überhaupt nicht wie ein Priester. Eher wie ein Schauspieler, der einen Priester darstellte. Bis man ihm in die Augen blickte. Denn dort war es, das innere Licht. »Hochwürden«, sagte sie. »Ich bin noch gar nicht damit vertraut, Jus.«
    »Das läßt sich denken. So wie vorhin in Sankt Peter habe ich noch nie empfunden. Wie also muß das erst bei dir gewesen sein? Das kann sich jemand wie ich gar nicht vorstellen.« »O doch, irgendwie schon, glaube ich. Wenn du nicht soviel Einfühlungsvermögen hättest, wärst du nicht eine so großartige Schauspielerin. Aber das kommt bei dir aus dem Unterbewußten, und zu Bewußtsein kommt es dir nur, wenn du es sozusagen intellektuell brauchst.«
    Sie saßen auf einer kleinen Couch in einer entlegenen Ecke des Raums, und es kam niemand, der sie störte.
    Nach einer Weile sagte sie: »Ich freue mich so, daß Frank gekommen ist.« Er blickte zu der Stelle, wo Frank mit Rainer sprach, weit lebhafter, als seine Nichte und sein Neffe ihn je gesehen hatten. »Ich kenne da einen alten Priester, ein Flüchtling aus Rumänien«, fuhr Dane fort, »der häufig, und zwar mit unendlich viel Mitgefühl sagt: >Ach, der Ärmste!< Und irgendwie möchte ich das auch immer über unseren Frank sagen. Nur, Jus, weshalb eigentlich?« Doch Justine ignorierte diese Einleitung. Sie kam sofort und sehr konsequent zur Sache. »Ich könnte Mum umbringen!« sagte sie zwischen den Zähnen. »Sie hatte kein Recht, dir dies anzutun!« »Oh, Jus! Ich verstehe. Auch du mußt versuchen zu verstehen. Wenn es böse gemeint wäre von ihr, oder weil sie es mir heimzahlen wollte ... aber du kennst sie so gut wie ich und weißt, daß das ausscheidet. Ich fahre bald nach Drogheda. Dann rede ich mit ihr.« »Mir scheint, Töchter haben mit ihren Müttern nie soviel Geduld wie Söhne.« Sie zog ihre Mundwinkel

Weitere Kostenlose Bücher