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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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großartigen Kardinal abgeben. Sie konnte sich nicht erinnern, je einen besser aussehenden Mann zu Gesicht bekommen zu haben, und gewiß war ihr noch nie jemand begegnet, der von seiner Schönheit ja, was? - einen solchen Gebrauch machte. Nein, noch nie - nicht auf diese Weise. Er mußte sich einfach der Tatsache bewußt sein, wie er aussah: seine Größe und seine perfekten Körperproportionen, seine feingeformten aristokratischen Züge - zweifellos wußte er darum. Jedes noch so winzige Element seiner physischen Erscheinung schien vom Schöpfer mit jenem Höchstmaß an Sorgfalt zum Ganzen komponiert worden zu sein, das der Herr nur wenigen seiner Geschöpfe angedeihen ließ. Von den wie ungebändigten schwarzen Locken auf seinem Haupt und den geradezu bestürzend blauen Augen bis zu den kleinen, schlanken Händen und Füßen war dieser Priester, dieser Mann, einfach vollkommen. Ja, es konnte gar nicht anders sein - er wußte, wie er aussah, wie er wirkte. Doch in seinem Wesen, in seinem Verhalten offenbarte sich eine eigentümliche Reserviertheit, eine Art Auf-Distanz-Gehen zu sich selbst. Zumindest verstand er es, ihr - Mary Carson - nachdrücklich klarzumachen, daß er nie zum Sklaven seiner eigenen Schönheit geworden war, noch je werden würde. Andererseits: Ohne irgendwelche Skrupel würde er eben diese seine Schönheit einsetzen, falls sie von Nutzen war, um ans Ziel zu gelangen; doch keineswegs von ihr berauscht - eher schon, als verachte er zutiefst jene Menschen, die sich dadurch beeinflussen ließen. Mary Carson hätte viel darum gegeben, zu erfahren, was in seiner Vergangenheit ihn zu dem gemacht hatte, der er jetzt war. Merkwürdig, daß es so viele Priester gab, die es an Schönheit mit Adonis aufnehmen konnten, denen der sexuelle Magnetismus eines Don Juan eignete. Flüchteten sie sich in den Zölibat, um den unausweichlichen Konsequenzen zu entgehen? »Weshalb finden Sie sich mit Gillanbone ab?« fragte sie. »Warum bleiben Sie unter solchen Umständen Priester? Bei Ihren Talenten könnten Sie es auf so manchem Gebiet zu Reichtum und zu Macht bringen - und versuchen Sie nicht, mir weiszumachen, daß der Gedanke an Macht nicht zumindest etwas Anziehendes für Sie hat.« Seine linke Augenbraue zuckte hoch. »Meine teure Mrs. Carson, Sie sind Katholikin. Sie wissen, daß meine Gelübde heilig sind. Bis zu meinem Tode werde ich Priester bleiben. Ich kann es nicht leugnen.«
    Sie ließ ein Lachen hören: ein eigentümliches, schnaubendes Geräusch. »Pater, ich bitte Sie! Sie glauben doch nicht im Ernst, daß man mit Blitzen, Bluthunden und Flinten auf Sie losgehen würde, wenn Sie sich nicht mehr an Ihre Gelübde gebunden fühlten!« »Natürlich nicht. Und ich halte Sie auch keineswegs für töricht genug, um zu glauben, daß es etwa Furcht vor Vergeltung ist, die mich zu meinen Gelübden stehen läßt.«
    »Oho! So leicht gereizt, Pater de Bricassart? Nun, was bindet Sie dann noch an Ihre Gelübde? Was zwingt Sie, die Hitze und den Staub und die Fliegen von Gilly zu ertragen? Schließlich könnte es für Sie so etwas wie >lebenslänglich< werden.«
    Flüchtig schien ein Schatten über das Blau seiner Augen hinwegzugleiten. Doch er lächelte, voller Mitleid für sie. »Sie sind wirklich ein großer Trost für mich.« Mit sacht geöffneten Lippen hob er den Kopf, blickte zur Zimmerdecke, seufzte dann. »Von der Wiege an bin ich auf ein Ziel hin erzogen worden - Priester zu sein. Doch es ist weit mehr als nur das. Wie kann ich das einer Frau erklären? Ich bin ein Gefäß, Mrs. Carson, und mitunter bin ich von Gott erfüllt. Und dieses Erfülltsein, dieses Einssein mit Gott ist etwas, das völlig unabhängig von irgendeinem Ort geschieht. Ob ich mich in Gillanbone befinde oder in einem Bischofssitz, bleibt dabei gleichgültig. Dieses Geschehen genauer zu beschreiben, ist überaus schwierig, weil es auch für Priester ein großes Geheimnis bleibt. Eine göttliche Besessenheit, die andere Menschen nie an sich erfahren können. Ja, das ist es vielleicht. Meine Gelübde brechen? Das könnte ich nicht.« »Es ist also eine Macht, nicht wahr? Warum sollte sie dann Geistlichen übertragen werden? Was bringt Sie zu dem Glauben, man könne diese Macht kraft irgendwelcher langen Zeremonien auf andere Menschen übertragen - in Form einer Salbung vielleicht?« Er schüttelte den Kopf. »Bedenken Sie, bevor es zur Ordination kommt, hat sich jeder von uns viele Jahre seines Lebens hindurch eben darauf vorbereitet. Mit

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