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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Übung, sehr viel Übung darin. Der Trick war sogar ziemlich einfach. Man mußte sich nur mit etwas anderem beschäftigen, unablässig. Sie hob den Kopf, schaltete die Nachttischlampe an.
    Der Brief dort auf dem Nachttisch - einer der Onkel mußte ihn heraufgebracht haben auf ihr Zimmer. Bläuliches Papier, ein Luftpostbrief. Oben in der Ecke eine Briefmarke mit dem Kopf der Königin Elizabeth.
    »Liebste Justine«, schrieb Clyde Daltinham-Roberts, »komm zurück zur Meute, Du wirst gebraucht! Sofort! Im Repertoire für die neue Saison haben wir ein Stück mit einer Rolle, von der mir schwant, daß sie Dich reizen könnte. Es handelt sich da um eine gewisse Desdemona. Sagt Dir das vielleicht was? Dein Othello wäre Marc Simpson. Die Proben beginnen nächste Woche, falls Du interessiert bist.«
    Ob sie interessiert war? Desdemona! Desdemona in London! Und mit Marc Simpson als Othello! Die Chance eines Lebens! Und plötzlich stieg ihre Stimmung, wurde zu einem so überwältigenden Hochgefühl, daß die Szene mit Rain an Bedeutung verlor, oder eher: daß sie eine andere Bedeutung, eine andere Relation annahm. Eine erfolgreiche, hochberühmte Schauspielerin hatte für ihr Privatleben nun einmal kaum mehr Zeit, und was sich davon erübrigen ließ, nun, vielleicht gelang es ihr, sich Rainers Freundschaft und Liebe zu erhalten. Sie war bereit, alles zu tun, um ihn nicht zu verlieren, nur eines nicht - je die schützende Maske abzunehmen. Aber die Neuigkeit mußte unbedingt gefeiert werden. Doch mit wem? Richtig, da waren ja die Onkel, die würden sich mit ihr freuen. Rasch verließ sie ihr Zimmer und ging zu dem Raum, wo alle beisammen saßen.
    Triumphierend breitete sie die Arme, strahlte über das ganze Gesicht. »Also jetzt mal her mit einer Lage Bier!« rief sie. »Ich werde nämlich die Desdemona spielen!«
    Für einen Augenblick blieben alle stumm, dann sagte Bob sehr freundlich: »Das ist aber fein, Justine.«
    Ihr Hochgefühl minderte sich nicht. Es steigerte sich sogar zu unkontrollierbarer Heiterkeit. Lachend ließ sie sich in einen Sessel fallen und musterte ihre Onkel. Herrgott, was für prachtvolle Männer waren das doch! Natürlich konnte ihnen die Neuigkeit nichts bedeuten. Sie hatten nicht die leiseste Ahnung, wer diese Desdemona war.
    Soweit sie auch zurückdenken konnte, die Onks, sie hatte sie innerlich stets ein wenig verächtlich beiseite geschoben wie alles, was mit Drogheda zusammenhing. Die Onks, das war ein etwas absonderliches Kollektivgebilde, das mit Justine O’Neill nichts zu tun hatte. Auf der Homestead kamen sie und gingen sie und waren von einer geradezu unglaublichen Scheu und Einsilbigkeit. Doch jetzt, hier in diesem römischen Hotel, entdeckte Justine plötzlich, daß sie sie eigentlich gern hatte, daß die Onks zweifellos auch sie seit jeher sehr gern gehabt hatten. Es schien ihr, daß sie im Begriff war, diese sonderbaren und etwas rätselhaften Männer besser zu verstehen.
    Da saßen sie und blickten sie an, und das Glänzen in ihren Augen war offenbar Ausdruck für etwas, das - ja, man konnte und mußte es wohl Liebe nennen. Ihr Blick glitt vom einen zum anderen, wettergegerbte, lächelnde Gesichter. Da war Bob, der Boß, der seine Schar jedoch völlig unauffällig leitete, ohne jemals aufzutrumpfen; Jack, dessen Lebenszweck gleichsam darin bestand, eine Art Schatten seines Bruders zu sein; Hughie, der mitunter etwas boshaft sein konnte, den anderen in ihrer Biederkeit jedoch so überaus ähnlich; Jims und Patsy, zum Ganzen gehörend und dennoch eine Einheit, ein Doppelwesen für sich; und schließlich der arme, innerlich so ausgehöhlte Frank, der von allen der einzige zu sein schien, den ständig ein Gefühl des Nichtgeborgenseins verfolgte. Außer Jims und Patsy hatten inzwischen alle graue, Bob und Frank sogar weiße Haare. Dennoch sahen sie eigentlich gar nicht viel anders aus als früher.
    »Na, ich weiß nicht recht, ob ich dir eine Flasche Bier geben sollte«, sagte Bob und wiegte zweifelnd den Kopf.
    Die Bemerkung hätte sie sonst wohl auf die Barrikaden getrieben, doch jetzt war sie viel zu glücklich, um sich daran zu stoßen. »Allerbester Onkel Bob«, sagte sie, »bisher hast du mir ja, wenn wir hier alle mit Rain zusammen waren, noch nie ein Bier angeboten. Aber glaub mir, ich bin ein großes Mädchen und kann ein Bier vertragen. Ist ja auch keine Sünde, nicht?« Sie lächelte. »Wo ist Rainer?« fragte Jims, während er Bob ein volles Glas aus der Hand nahm, um es

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