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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Justine zu reichen.
    »Ich - wir - also ich hatte mit ihm so etwas Ähnliches wie eine Auseinandersetzung. « »Mit Rainer?«
    »Ja. Aber es war ganz meine Schuld. Ich werde später zu ihm gehen und ihm sagen, daß es mir leid tut.«
    Sie saß mit ihrem Glas Bier in der Hand. Es war schon sonderbar: Obwohl sie es am liebsten auf einen Zug geleert hätte, nippte sie fast nur daran, trank in kleinen Schlückchen - ladylike. Man durfte die Onks nicht zu sehr enttäuschen.
    »Rain ist schon ein Prachtkerl«, sagte Hughie und nickte bekräftigend.
    Justine wurde sich plötzlich bewußt, weshalb sie in der Achtung der Onks so unverkennbar gestiegen war. Einen Mann wie Rain würden sie augenscheinlich nur zu gern in der Familie sehen, rechneten offenbar ziemlich fest damit.
    »Ja, gewiß«, erwiderte sie kurz und wechselte dann das Thema. »War doch ein wirklich schöner Tag, nicht?«
    Alle nickten, selbst Frank, doch schien keiner darüber sprechen zu wollen. Sie fühlten sich ganz einfach zu müde, und Reden war ja ohnehin nicht ihre Sache. Dennoch zeigten sie sich interessiert an dem, was Justine betraf, und erstaunlicherweise war es Frank, der die Frage stellte.
    »Was ist ’n Desdemona?« sagte er.
    In ihrem Enthusiasmus stürzte Justine sich in eine ausführliche Schilderung und genoß das Entsetzen der Onks, als diese hörten, daß sie sich jeden Abend auf der Bühne würde erdrosseln lassen müssen. Erst als Patsy nach einer halben Stunde verstohlen gähnte, wurde Justine sich bewußt, daß sie
    die armen, müden Onks wirklich weit über Gebühr strapazierte.
    »Ich muß gehen«, sagte sie und stellte ihr leeres Glas auf den Tisch. Ein zweites hatte man ihr nicht angeboten. Ein Glas Bier für eine Lady war offenbar das allerhöchste der Gefühle. »Vielen Dank, daß ihr euch so geduldig mein Geschwafel angehört habt.« Zu Bobs Überraschung - und völliger Verwirrung - gab sie ihm einen Gutenachtkuß. Jack versuchte ihr auszuweichen, wurde jedoch mühelos erjagt; Hughie akzeptierte mit großer Bereitwilligkeit; Jims lief hochrot an, Patsy desgleichen, doch für ihn hatte sie auch noch eine Umarmung übrig; war er nicht eine Insel ganz für sich, ähnlich wie sie selbst? Für Frank kein Kuß, denn er wandte hastig sein Gesicht ab. Doch als sie ihn umarmte - davon ließ sie sich nicht abhalten -, spürte sie so etwas wie das matte Echo eines Gefühls von ungeheurer Intensität.
    Sie verließ den Raum. Draußen lehnte sie sich einen Augenblick gegen die Wand. Rain liebte sie. Aber als sie ihn dann, wenig später, telefonisch in seinem Zimmer zu erreichen versuchte, erfuhr sie von der Vermittlung, daß er ausgezogen und offenbar auf dem Rückweg nach Bonn war.
    Nun gut. Vielleicht war es ohnehin besser, zu warten, bis sie sich wieder in London befand. Sie würde ihm schreiben, zerknirscht Abbitte leisten. Und wenn er wieder nach England kam, dann ... nun, kommen würde er bestimmt, daran gab es für sie gar keinen Zweifel. Nachtragend hatte er sich noch nie gezeigt. Im übrigen war er jetzt viel mit auswärtigen Angelegenheiten befaßt und kam daher ohnehin recht häufig nach England.
    »Warte nur, mein Lieber«, sagte sie, während sie in den Spiegel starrte, »ich werde dafür sorgen, daß Justine O’Neill zu deiner wichtigsten auswärtigen Angelegenheit wird.«
    Ein Gedanke kam ihr sonderbarerweise überhaupt nicht: daß es vielleicht Rainers Absicht sein könne, diesen Namen
    abzuändern in Justine Hartheim. Das Grundschema ihres Lebens lag für sie ein für allemal fest, eine Ehe kam überhaupt nicht in Betracht. Im übrigen war sie viel zu sehr damit beschäftigt, sich wieder und wieder seinen Kuß ins Gedächtnis zurückzurufen.
    Blieb noch die Aufgabe, Dane zu erklären, daß sie ihn nicht nach Griechenland begleiten könne. Aber darüber machte sie sich weiter keine Kopfschmerzen. Er verstand bestimmt, er verstand ja immer. Aber es mochte durchaus ratsam sein, ihm nicht alle Gründe zu nennen, die sie an der Reise hinderten. Auch wenn er jetzt so etwas wie ein beamteter Prediger war - die Predigt, die sie dann erwartete, wollte sie sich lieber ersparen. Denn in seinen Augen war es das Allerselbstverständlichste, das einzig Richtige, wenn sie und Rain heirateten. Was Danes Ohren nicht hörten, konnte seinem Herzen keinen Kummer bereiten.
    »Lieber Rain«, begann der kurze Brief. »Tut mir ehrlich leid, daß ich neulich abend wie eine richtige Zicke davongelaufen bin. Weiß selbst nicht, was da in mich

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