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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Wenn du’s bis jetzt nicht getan hast, wirst du’s nie tun. Das hat nämlich einen prickelnden Reiz für dich - wenn du nie weißt, was als nächstes aus meiner Ecke kommt.«
    »Hast du deshalb gesagt, daß du mich liebst?« fragte sie schmerzlich. »War’s nur so ein Trick, um mir etwas Unerwartetes zu servieren?« »Nun, was meinst du wohl?«
    »Ich meine, daß du ein ganz gemeines Aas bist«, sagte sie zwischen den Zähnen und marschierte dann gleichsam bis dicht vor seinen Sessel - auf ihren Knien, über das Fell rutschend. »Sag noch einmal, daß du mich liebst, du verdammter deutscher Klotz du, und ich spuck’ dir ins Gesicht!« Auch er war wütend. »Ich denke ja nicht daran! Deshalb hast du mich ja nur eingeladen, nicht wahr? Meine Gefühle scheren dich doch einen Dreck, Justine! Du hast mich eingeladen, damit du mit deinen eigenen Gefühlen experimentieren kannst, und ob das mir gegenüber fair ist, die Frage stellt sich ja überhaupt nicht für dich.« Bevor sie zurückweichen konnte, beugte er sich vor und zog sie dichter an sich, zwischen seine Knie. Ihr Zorn verflog sofort. Flach legte sie die Hände auf seine Schenkel und hob ihr Gesicht. Doch er küßte sie nicht. Er ließ sie los und lehnte sich zurück, vielleicht um die Lampe hinter seinem Sessel auszuknipsen. Aber dann beugte er sich nicht wieder zu ihr, sondern blieb zurückgelehnt sitzen. Was sollte sie tun, wie sich verhalten? Wenn er es ihr doch nur sagen wollte! Sie hatte Angst, von ihm zurückgewiesen zu werden. Wie gern hätte sie ihren Kopf auf seinen Schoß gelegt und zu ihm gesagt: Rain, liebe mich, ich brauche dich so sehr, und es tut mir leid. Ja, wenn sie ihn nur dazu bringen könnte, sie zu lieben, dann würde sich endlich, endlich etwas in ihr einrenken, das bis jetzt noch nie so recht im Lot gewesen war.
    Vorsichtig begann sie, ihm die Krawatte abzubinden. Er ließ es geschehen. Ähnlich passiv verhielt er sich, als sie ihm das Jackett auszog. Sie fing an, ihm das Hemd aufzuknöpfen - und wußte plötzlich, daß es nicht gutgehen konnte. Es fehlte ihr ganz einfach an jenem Geschick und Gespür, mit dem manche Frauen offenbar in der kleinsten Nebensächlichkeit erotische Funken knistern ließen. O Gott, sie verpfuschte es, verpfuschte es völlig. Ihre Lippen begannen zu zittern. Sie brach in Tränen aus.
    »Nicht doch, Herzchen, Liebchen, nicht doch, nicht weinen!« Er zog sie zu sich auf seinen Schoß, lehnte ihren Kopf in die Beuge zwischen seinem Hals und seiner Schulter, hielt sie in seinen Armen. »Es tut mir leid, Herzchen, ich wollte dich nicht zum Weinen bringen!« »Jetzt weißt du’s«, sagte sie schluchzend. »Jetzt weißt du, was für eine elende Versagerin ich bin. Ich habe dir ja gesagt, es würde nicht gutgehen! Rain, ich wollte dich so gern behalten, aber ich wußte, daß es nicht gutgehen würde, wenn du erst einmal siehst, wie furchtbar das mit mir ist.«
    »Aber natürlich konnte es nicht gutgehen, natürlich konnte es nicht klappen. Wie denn auch? Ich habe dir ja nicht geholfen, Herzchen.« Er hob ihr Gesicht zu sich, küßte ihre Augenlider, ihre feuchten Wangen, ihre Mundwinkel. »Es ist meine Schuld, Herzchen, nicht deine. Ich habe es dir heimgezahlt. Ich wollte sehen, wie weit du von dir aus gehst. Aber in deinen Motiven, ja, in deinen Motiven habe ich mich wohl geirrt.« Er schwieg einen kurzen Augenblick. »Wenn es wirklich dies ist, was du willst, dann werden wir es haben, aber gemeinsam.«
    »Bitte, Rain, bitte, lassen wir es lieber! Ich würde dich nur enttäuschen. Es fehlt mir einfach an ... «
    »Woran fehlt es dir, Herzchen? Dir fehlt es an nichts. Das weiß ich spätestens, seit ich dich auf der Bühne gesehen habe. Wie also kannst du an dir selbst zweifeln, wenn du mit mir zusammen bist?« Hatte er nicht recht, hatte er nicht recht? Ja, natürlich, er hatte recht! Ihre Tränen versiegten.
    »Küß mich so, wie du mich in Rom geküßt hast«, flüsterte er. Doch diesmal war es ganz anders. In Rom war es wie ein Reflex gewesen, ein überraschtes Reagieren voll Leidenschaft, das sich für den kurzen Augenblick jeder Kontrolle entzog. Diesmal war es ein Verweilen, Erforschen, ein behutsames In- sich-Aufnehmen. Wieder knöpften ihre Finger an seinem Hemd, knöpften es ganz auf, während seine Hand zum Reißverschluß an ihrem Kleid glitt. Der Druck seiner Lippen verstärkte sich plötzlich, deutlicher als zuvor fühlte sie die Konturen, und dann war sein Mund an ihrem Hals, was eine eigentümliche

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