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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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    Der Sarg. Hinaus aus der Kapelle über den Rasen, vorbei am Geister-Eukalyptus, den Rosen, den Pfefferbäumen, zum Friedhof. Schlafe, Dane, schlafe. Nur die Guten nimmt Gott so früh zu sich. Warum trauern wir? Ist es nicht ein Glück, dieser Welt so bald schon zu entkommen? Vielleicht ist eben das die Hölle: bis in alle Ewigkeit so leiden zu müssen wie auf Erden. Vielleicht erleiden wir in unserem irdischen Leben schon die Hölle ...
    Der Tag verging, die Trauergäste verließen Drogheda. Die Menschen im großen Haus bewegten sich eigentümlich langsam, und sie mieden einander. Justine fuhr zusammen mit Jean und Boy King nach Gillanbone. Von dort sollte es mit dem Flugzeug nach Sydney gehen, von Sydney dann in einer anderen Maschine nach London. Warum verließ sie Drogheda nur so überstürzt wieder? überlegte der Kardinal. Es schien sie buchstäblich fortzutreiben. In Athen, wo sie sich mit Meggie und ihm getroffen hatte, war sie kaum wiederzuerkennen gewesen, nur noch ein Schatten ihrer selbst, oder eher eine schattenhafte Hülle, unter der sie sich verbarg, der Außenwelt entzog. Und das war auch nicht anders gewesen, als sie dann mit Jean und Boy King nach Drogheda kam. Noch tiefer schien sie sich in sich selbst verkrochen zu haben, und ihr Äußeres war von einer sonderbaren Wesenlosigkeit. Nicht einmal die sonst so unverkennbaren Merkmale fielen noch auf, die fahlen Augen, die rauchige Stimme. Weshalb hatte sie Rainer Hartheim nicht verständigt und sich von ihm begleiten lassen? Der Kardinal begriff das nicht. In Rom hatte er selbst verschiedentlich daran gedacht, Rainer anzurufen, aber da war so vieles gewesen ... und dann die Müdigkeit, er war einfach nicht dazu gekommen. Aber Justine? Sie mußte doch wissen, wie sehr Rainer sie liebte, und es wäre eigentlich nur normal gewesen, wenn sie versucht hätte, Rainer gerade jetzt an ihrer Seite zu haben. Doch sie waren sonderbar, die Menschen von Drogheda. Sie schienen ihren Schmerz mit niemandem teilen
    zu wollen, sie blieben damit lieber allein.
    Nach dem Dinner, bei dem kaum jemand einen Bissen angerührt hatte, saß der Kardinal zusammen mit Meggie und Fee im Salon. Außer diesen drei Menschen war niemand hier. Keiner sprach, und das Ticken der Ormolu-Uhr auf dem Kaminsims klang dröhnend in die Stille. Mary Carsons Augen, auf dem Gemälde, starrten herausfordernd zu ihrem Widerpart auf der anderen Seite des Raums, zu dem Bild von Fees Großmutter. Fee und Meggie saßen auf einem cremefarbenen Sofa, und sie saßen so nahe beieinander, daß ihre Schultern sich leicht berührten. Der Kardinal konnte sich nicht erinnern, das früher bei ihnen je gesehen zu haben, diese unmittelbare körperliche Nähe. Doch sie blieben stumm, wechselten keinen Blick miteinander, sahen auch ihn nicht an.
    Er versuchte, genauer zu erkennen, worin er gefehlt hatte. Das Maß seiner Schuld, wie groß war es? Zu groß, sagte eine Stimme in ihm. Viel zu groß, um es zu umgreifen. Hochmut, Ehrgeiz, auch eine gewisse Skrupellosigkeit. Aber auch Liebe, widersprach er, meine Liebe zu Meggie.
    Doch von der Krönung dieser Liebe hatte er nichts gewußt. Ein grausamer Gedanke. Oder doch nicht? Denn welchen Unterschied hätte es gemacht, zu wissen, daß sein Sohn sein Sohn war? Konnte man Dane mehr lieben, als er ihn geliebt hatte? Wäre er einen anderen Weg gegangen, hätte er von seinem Sohn gewußt? Ja! schrie sein Herz. Nein! höhnte sein Hirn.
    Voll Erbitterung kehrte er sich gegen sich selbst. Narr! Du hättest wissen müssen, daß Meggie niemals zu Luke O’Neill zurückkehren würde. Du hättest sofort wissen müssen, wessen Kind Dane war. Wie stolz war sie doch auf ihn! Bei unserem Gespräch in Rom, wie sagte sie da noch? Er war das einzige, was ich von dir bekommen konnte ... Ja, Meggie, aber in ihm und mit ihm bekamst du das Beste ... O Gott, Ralph, wie konntest du nur so blind sein, nicht zu sehen, daß er dein Sohn war? Wieviel Torheit gehörte dazu, das nicht zu begreifen? Und wenn du es schon nicht früher erkanntest, so hättest du es doch spätestens erkennen müssen, als er zu dir nach Rom kam, kein Kind mehr, sondern ein erwachsener Mann. Sie hat darauf gewartet, daß du endlich sehend würdest, sie hat es sich so sehr herbeigewünscht. Und wärst du sehend geworden, so wäre sie vor dir niedergekniet. Du hast nicht gesehen. Du bist blind geblieben: bist es geblieben, weil du nicht sehen wolltest.
    Ja, Ralph Raoul Kardinal de Bricassart: Das war es, was du

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