Die Dornenvögel
verändert, als daß es etwas Gesetztes angenommen hatte, eine Ausprägung, die ganz und gar nicht mit jener übereinstimmte, die er ihr in seiner Erinnerung gegeben hatte. An Stelle der Lieblichkeit, die er in seinem Gedächtnis bewahrte, fand sich eine unverkennbare Strenge, ja Schärfe, an Stelle der Sanftmut ein unübersehbarer Anflug von Härte. Sie glich mehr einer zwar alternden, aber doch tatkräftigen und eigensinnigen Märtyrerin als der resignierten, kontemplativen Heiligen seiner Träume. Ihre Schönheit war so bezaubernd wie eh und je, ihre Augen besaßen noch immer das klare, silbrige Grau, doch der Glanz in ihnen war härter, und das einst so kraftvoll wirkende rotblonde Haar zeigte jetzt einen Farbton wie gedecktes Beige, Danes Haar irgendwie ähnlich, allerdings ohne das Leben darin.
Enttäuschend, wenn nicht bestürzend für ihn war, daß sie ihn nur mit einem kurzen Blick streifte, ihm keine Gelegenheit gab, ihr in die Augen zu sehen.
Steif deutete er auf einen Sessel. »Bitte, nimm doch Platz.« »Danke«, erwiderte sie genauso steif.
Als sie saß, konnte er sehen, daß ihre Beine und ihre Fußknöcheln stark geschwollen waren.
»Meggie! Bist du von Australien hergeflogen, ohne irgendwo Zwischenstation zu machen? Was ist geschehen?«
»Ja«, erwiderte sie. »Während der letzten neunundzwanzig Stunden habe ich, zwischen Gillanbone und Rom, praktisch immer in irgendeinem Flugzeug gesessen und nichts weiter zu tun gehabt, als durch das Fenster hinauszustarren in die Wolken und zu denken.« Ihre Stimme klang hart, kalt.
»Was ist geschehen?« fragte er begierig, besorgt und ungeduldig zugleich.
Sie hob ihren Blick und sah ihn an, sehr gerade, sehr direkt. Da war irgend etwas Furchtbares in ihren Augen, etwas so Dunkles und Fröstelndes, daß er fühlte, wie es ihm eisig über den Nacken kroch. Unwillkürlich hob er die Hand, strich sich übers Genick. »Dane ist tot«, sagte Meggie.
Seine Hand sackte herab und lag dann, als er sich auf irgendeinen Sitz hatte gleiten lassen, wie eine schlaffe Stoffpuppe auf seinem roten Schoß. »Tot?« fragte er langsam. »Dane tot?« »Ja. Er ist vor sechs Tagen bei Kreta ertrunken, als er ein paar Frauen aus dem Meer rettete.«
Er beugte sich vor, verbarg das Gesicht in den Händen. »Er ist tot?« Seine Stimme klang undeutlich. »Dane ist tot? Mein Dane ist tot, mein schöner Dane? Aber das kann doch nicht sein! Er war der vollkommene Priester. Er war all das, was ich nicht sein konnte. Woran es mir mangelte - er besaß es.« Seine Stimme brach. »Er hat es stets gehabt, das erkannten wir alle, wir, die wir keine vollkommenen Priester sind. Tot? O mein Herr und Gott!« »Bemühe deinen lieben Gott jetzt nicht, Ralph«, sagte die Fremde, die ihm gegenübersaß. »Es gibt für dich Wichtigeres zu tun. Ich bin gekommen, um dich um Hilfe zu bitten - nicht, um deine Trauer mit anzusehen. Während der vielen Stunden in den Flugzeugen habe ich mir genau durch den Kopf gehen lassen können, was ich zu dir sagen will. Ich saß und starrte in die Wolken, wußte, daß Dane tot war. Und, glaube mir, deine Trauer kann mich jetzt nicht mehr bewegen.« Und doch: als er sein Gesicht aus den Händen hob, spürte sie in ihrem toten, kalten Herzen ein eigentümliches Zucken. Es war Danes Gesicht, das sie vor sich sah, nur trug es, tief eingeprägt, die Züge durchlittenen Lebens, und eben dies - ja, eben dies würde Dane erspart bleiben. O Gott, ich danke dir! Gott, ich danke dir, daß er tot ist, daß er nie wird durchmachen müssen, was dieser Mann durchgemacht hat, was ich durchgemacht habe. Besser, tot zu sein, als so zu leiden.
»Wie kann ich helfen, Meggie?« fragte er ruhig, und es war deutlich zu sehen, wie er alle persönlichen Gefühle unterdrückte, um seiner Aufgabe gerecht werden zu können: als ihr geistlicher Ratgeber. »In Griechenland herrscht im Augenblick das Chaos. Man hat Dane auf Kreta begraben, aber ich weiß nicht, wo er liegt und wann es geschehen ist. Ich begreife auch nicht ganz, wie es dazu kommen konnte. Allerdings könnte es sein, daß meine Anweisung, ihn nach Australien zu überführen, wegen der politischen Unruhen in Griechenland erst viel zu spät eingetroffen ist. Bei dem heißen Klima auf Kreta dürfte es mit einem Toten ähnlich sein wie in Australien, und als sich niemand meldete, glaubte man wohl, er habe keine Angehörigen, und begrub ihn.« Sie beugte sich vor. Ihr Gesicht war hart, voll innerer Anspannung. »Ich will meinen Sohn
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