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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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wolltest, mehr als alles andere, mehr als sie, mehr als deinen Sohn. Mehr als deinen Sohn!
    Der Raum schien erfüllt von raschelnden Geräuschen, von Flüstern und Wispern, von leisen, spitzen Schreien. Die Uhr auf dem Kaminsims tickte genau im gleichen Takt mit dem Schlag seines Herzens. Doch dann geriet es plötzlich aus diesem ruhigen, steten Rhythmus. Es hielt nicht mehr Schritt, vermochte es nicht mehr. Verschwommen gewahrte er, wie Meggie und Fee, drüben auf dem cremefarbenen Sofa, die Köpfe hoben, hastig auf die Beine kamen. Wie durch ein wäßriges, wesenloses Nebelgebilde sah er ihre erschrockenen Gesichter. Sie sagten etwas zu ihm, doch er vernahm nichts, keinen Laut, kein Wort.
    »Aaaaaah!« schrie er plötzlich, und es war, als ob er doch verstand. Der Schmerzen war er sich kaum bewußt. Das einzige, was er wirklich fühlte, waren Meggies Arme, die ihn hielten, war ihre Schulter, an der sein Kopf jetzt lag. Doch er hob ihn sacht, und es gelang ihm, sein Gesicht so weit herumzudrehen, daß er sie sehen, ihr in die Augen blicken konnte. Vergib mir, versuchte er zu sagen, und sah, daß sie ihm längst schon vergeben hatte. Er wollte etwas sagen, das so vollkommen war, daß es sie für immer trösten würde. Doch er begriff, daß auch das nicht notwendig war. Was immer sie im tiefsten sein mochte, sie konnte alles ertragen. Alles! Und so schloß er die Augen und überließ sich zum letzten Mal diesem
    Gefühl, dem Vergessen in Meggie.

7. TEIL 1965-1969 JUSTINE
     
    19
     
     
     
    Rainer Hartheim erfuhr von Kardinal de Bricassarts Tod aus der Zeitung, als er in seinem Büro in Bonn am frühen Vormittag eine Tasse Kaffee trank. Die politische Krise, die ihn während der letzten Wochen in Atem gehalten hatte, war praktisch überwunden, und endlich konnte er sich zwischendurch wieder mal eine kleine Kaffeepause leisten, wobei er ganz automatisch zur Zeitung griff. Daß Justine letzthin nichts von sich hatte hören lassen, beunruhigte ihn nicht weiter. Er fand es charakteristisch für sie: Irgendwie schien sie, ihr selbst vielleicht gar nicht recht bewußt, das Bedürfnis zu haben, ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren.
    Die Meldung vom Tod des Kardinals verdrängte abrupt jeden Gedanken an Justine. Zehn Minuten später saß er am Steuer eines Mercedes 280 SL und fuhr in Richtung Autobahn. Der arme alte Vittorio fühlte sich jetzt gewiß sehr einsam, und er trug sonst schon schwer genug an der großen Last, die ihm aufgebürdet war. Natürlich hätte er fliegen können. Aber in diesem Augenblick scheute er unwillkürlich das Menschengewimmel auf dem Flugplatz, die vielen Leute in der Maschine; und solches wäre wohl in Kauf zu nehmen gewesen. Eine Sondermaschine hätte er so schnell kaum bekommen und unter diesen Umständen auch gar nicht haben wollen. Es tat ihm gut, das Lenkrad eines schnellen Wagens in den Händen zu spüren. Das war etwas, das er unter Kontrolle halten konnte.
    Von Kardinal di Contini-Verchese erfuhr er die ganze Geschichte, und er war zunächst viel zu bestürzt, als daß er sich gefragt hätte, weshalb er von Justine nicht verständigt worden war. »Er kam zu mir und fragte mich, ob ich wisse, daß Dane sein Sohn gewesen sei«, sagte die sanfte Stimme, während die alten Hände Natascha zart über das blaugraue Fell strichen.
    »Und was haben Sie erwidert?«
    »Ich sagte, ich hätte es vermutet. Ich konnte ihm nicht mehr sagen. Aber, oh, sein Gesicht! Sein Gesicht! Ich weinte.« »Das ist es natürlich, was ihn getötet hat. Als ich ihn das letzte Mal sah, kam er mir alles andere als gesund vor. Doch über meinen Rat, sich ärztlich untersuchen zu lassen, lachte er nur.« »Gottes Wille geschehe. Ich glaube, daß mir kaum je ein anderer Mensch begegnet ist, der solche innere Qualen durchlitt wie Ralph de Bricassart. Im Tod wird er den Frieden finden, der ihm in diesem Leben nicht vergönnt war.« »Aber der Junge, Vittorio! Eine Tragödie.«
    »Dane? Glauben Sie das wirklich? Ich glaube das nicht. Vielmehr meine ich, es ist schön. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß er den Tod nicht willkommen hieß. Und es überrascht mich nicht im geringsten, daß unser lieber Herrgott keinen Augenblick länger warten wollte, bis er Dane zu sich rief. Ich trauere, ja. Aber nicht um den Jungen, sondern für seine Mutter, die soviel leiden muß! Und für seine Schwester, seine Onkel, seine Großmutter. Aber ich trauere nicht um ihn und nicht für ihn. Dane O’Neill lebte in fast völliger

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