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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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sein. Bei seinem Tode schwöre ich’s dir.« Ein eigentümliches Geräusch erklang. Ein Klagelaut, der aus tiefsten Tiefen zu schrillen schien und der dennoch wie ein ersticktes Röcheln war. Eine Seele trat ein durch die Pforten der Hölle. Ralph de Bricassart stürzte aus dem Sessel vornüber. Und kniete dann zusammengekauert auf dem roten Teppich, das Gesicht in den gewinkelten Armen verborgen, die Finger ins weiße Haar gekrallt. »Ja, weine nur!« sagte Meggie. »Weine jetzt, da du es weißt! Einer von uns beiden muß doch Tränen um ihn vergießen können. Ja, weine, Ralph! Sechsundzwanzig Jahre lang habe ich deinen Sohn gehabt, aber du wußtest es nicht, du warst blind dafür. Du hast dein
    Ebenbild nicht erkannt! Als meine Mutter bei seiner Geburt den ersten Blick auf ihn warf, wußte sie’s sofort. Du jedoch hast es nie gesehen. Deine Hände, deine Füße, dein Gesicht, deine Augen, dein Körper. Nur seine Haarfarbe war anders. Alles übrige war genau wie bei dir. Verstehst du jetzt? Als ich ihn zu dir schickte, schrieb ich dir: >Ich gebe zurück, was ich gestohlen habe.<« Erinnerst du dich? Nur - wir haben beide gestohlen, Ralph. Wir stahlen, was du Gott geweiht hattest, und wir haben beide bezahlen müssen.« Sie setzte sich wieder. Mitleidlos und unversöhnlich betrachtete sie die zusammengekauerte rote Gestalt auf dem Fußboden. »Ich habe dich geliebt, Ralph, aber du hast mir nie gehört. Was ich von dir hatte, mußte ich mir stehlen. Dane gehörte mir, ihn habe ich von dir bekommen. Ich hatte mir geschworen, dich das nie wissen zu lassen. Ich hatte mir geschworen, dir nie eine Gelegenheit zu geben, ihn mir wegzunehmen. Und dann war er selbst es, der sich dir gab, ganz aus eigenem. Den Inbegriff eines vollkommenen Priesters nannte er dich. Wie habe ich doch darüber gelacht! Doch um nichts in der Welt hätte ich dir diese Waffe in die Hand gegeben - daß du wußtest, daß er von dir war. Nur jetzt, jetzt ist das anders; sonst hätte ich es dir bestimmt nicht gesagt. Aber welche Rolle spielt das noch? Er gehört uns nicht mehr, weder dir noch mir. Er gehört Gott.« Kardinal de Bricassart charterte ein Privatflugzeug nach Athen, und gemeinsam mit Meggie und Justine brachte er Dane heim nach Drogheda.
    Und er bereitete sich vor.
    Ich muß die Messe halten, die Totenmesse für meinen Sohn. Fleisch von meinem Fleische. Als ich wieder zur Besinnung kam, zweifelte ich nicht länger daran. Vittorio hat es sofort gewußt, als er den Jungen sah, und in meinem Herzen muß auch ich es gewußt haben. Doch meine Augen blieben blind. Fee hat es gewußt. Anne Müller hat es gewußt. Aber nicht wir Männer. Uns konnte man es nicht sagen. Wir taugten nicht dazu. Denn so denkt ihr Frauen und hütet eure Geheimnisse vor uns. Weil ihr es uns heimzahlen wollt, daß der Herr euch nicht nach seinem Ebenbild erschaffen hat. Vittorio erkannte. Doch was ihn erkennen und dann seine Zunge hüten ließ, war das Weibliche an ihm. Ein Racheakt, ein meisterhafter Racheakt ...
    Sprich, Ralph de Bricassart: öffne den Mund, breite segnend die Hände aus und sage, was zu sagen ist, für die Seele dessen, der dein Sohn war. Den du mehr geliebt hast, als du seine Mutter liebtest, ja, mehr. Denn er war ja du selbst, nur besser, vollkommener.
    »In Nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti ...« Die Kapelle war voll. Alle waren da, die da sein konnten. Die Kings, die O’Rourkes, die Davieses, die Pughs, die MacQueens, die Gordons, die Carmichaels, die Hopetons. Und die Clearys, die Leute von Drogheda. Alle Hoffnung erloschen, alles Licht erloschen. Und vorn, in einem mit Bleiplatten ausgekleideten Sarg, lag der Priester Dane O’Neill, und Rosen häuften sich über ihm. Wie fügte es sich nur, daß stets, wenn er nach Drogheda kam, die Rosen blühten? Es war Oktober, Hochfrühling sozusagen, und natürlich blühten sie. Die Zeit stimmte.
    »Sanctus ... Sanctus ... Sanctus ...«
    Mein Dane, mein schöner Sohn. Es ist besser so, ja, so ist es besser. Ich hätte nicht gewollt, daß du zu dem wirst, der ich jetzt bin. Doch habe ich ein Recht, so zu sprechen? O nein, wohl nicht. Wer sagt denn, daß du je so geworden wärst? Du brauchst meine Worte nicht, du hast solche Worte nie gebraucht. Wonach ich unsicher, ja blind, tastete, du fandest es instinktiv. Und nicht du bist es, der unglücklich ist, sondern wir hier, wir Hinterbliebenen. Habe Mitleid mit uns, und wenn unsere Zeit kommt, dann hilf. »Ite, Missa est... Requiescat in pace

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