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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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jetzt also vierundfünfzig. Wir sind die einzigen, die noch am Leben sind. Ich kenne ihn kaum. Als ich Galway verließ, war er noch ein kleines Kind. Jetzt lebt er in Neuseeland, aber zu irgendwelchen Reichtümern hat er es dort nicht gebracht. Als mir der Stationsvorsteher gestern abend die Nachricht brachte, daß Arthur Teviot sich mitsamt seinen Siebensachen davongemacht hatte, fiel mir plötzlich Padraic ein. Hier sitze ich, werde wahrlich nicht jünger, bin ohne Familie. Paddy seinerseits ist das, was ich einen Mann vom Land ohne Land nennen möchte. In anderen Worten: Es ist so etwas wie sein Lebenselement, doch fehlt es ihm an Mitteln, eigenen Grundbesitz zu erwerben. Warum, habe ich mir deshalb überlegt, sollte ich ihm nicht schreiben und ihn einladen, mit seiner ganzen Familie hierher zu ziehen. Wenn ich sterbe, wird er Drogheda und Michar Limited erben, denn er ist ja mein einziger lebender Verwandter, abgesehen vielleicht von
    irgendwelchen fernen Vettern in Irland.«
    Sie lächelte. »Es wäre doch unsinnig, bis zu meinem Tode zu warten, nicht wahr? Warum soll er nicht schon jetzt kommen und sich mit der Schafhaltung hier vertraut machen? Auf unseren Schwarzerdebenen dürfte doch manches anders sein, als er das in Neuseeland gewohnt ist. Wenn ich dann eines Tages nicht mehr bin, kann er in meine Schuhe schlüpfen, ohne daß sie ihn drücken.« Den Kopf ein wenig vorgebeugt, beobachtete sie aufmerksam den Priester. »Wie kommt es, daß Ihnen das nicht schon früher eingefallen ist?« fragte er.
    »Oh, ich habe daran gedacht. Nur - bis vor kurzem war dies das letzte, was ich mir wünschte: in meiner Nähe einen Haufen Aasgeier zu haben, die begierig auf meinen letzten Atemzug warten. Seit einiger Zeit scheint mir jedoch, daß mein Abschied längst nicht mehr so fern ist, wie ich immer glaubte, und ich habe das Gefühl, daß ... ach, ich weiß nicht. Irgendwie wäre es vielleicht ganz schön, in meiner Nähe Menschen zu wissen, die von meinem Fleisch und meinem Blut sind.«
    »Ja, was ist denn?« fragte er hastig, aufrichtige Besorgnis in den Augen. »Fühlen Sie sich krank?«
    Sie hob die Schultern. »Mir geht es soweit ausgezeichnet. Doch wenn man fünfundsechzig wird, so liegt allein in dieser Tatsache etwas Bedrohliches. Plötzlich ist Altwerden kein Phänomen mehr, das sich irgendwann ereignen wird - es hat sich bereits ereignet.«
    »Ich verstehe Sie und glaube, daß Sie recht haben. Es wird sehr angenehm für Sie sein, junge Stimmen im Haus zu hören.«
    »Oh, hier werden sie nicht wohnen«, betonte sie. »Sie können oben am Creek wohnen, in dem Haus für den Oberviehtreiber, ein gutes Stück von mir entfernt. Daß ich auf den Umgang mit Kindern und den Klang von Kinderstimmen versessen wäre, könnte ich nicht gerade behaupten.«
    »Ist das nicht eine ziemlich schäbige Art, Ihren einzigen
    Bruder zu behandeln, Mary? Auch wenn der Altersunterschied zwischen ihm und Ihnen recht beträchtlich sein mag?«
    »Er wird’s erben - soll er’s sich erwerben«, sagte sie schroff.
    Sechs Tage vor Meggies neuntem Geburtstag wurde Fiona Cleary wieder von einem Jungen entbunden, und sie fand, daß sie eigentlich von Glück sagen konnte: weil es zwischendurch nichts weiter gegeben hatte als zwei Fehlgeburten. Mit neun Jahren war Meggie alt genug, um ihrer Mutter eine wirkliche Hilfe zu sein. Fee ihrerseits war jetzt vierzig, und das bedeutete, daß eine Schwangerschaft sie jetzt doch sehr viel Kraft kostete. Der Junge wurde auf den Namen Harold getauft, und es zeigte sich, daß er ein zartes, ja kränkliches Kind war. Wohl zum ersten Mal erschien der Arzt bei den Clearys regelmäßig zu Hausbesuchen.
    Ein Unglück kommt selten allein. In der Tat: Die Sorgen der Clearys häuften sich. Die Nachkriegszeit brachte keineswegs einen Boom mit sich, ganz im Gegenteil - für die Landwirtschaft, vor allem auch für die Viehzucht, kamen jetzt schlechte Zeiten.
    Als die Familie eines Tages beim Tee saß, erschien der alte Angus MacWhirter und lieferte ein Telegramm ab. Paddy riß den Umschlag auf, und seine Hand zitterte. Telegramme enthielten nie eine gute Nachricht. Die Jungen scharten sich um ihren Vater, ausgenommen Frank, der seine Teetasse nahm und sich vom Tisch entfernte. Fionas Augen folgten ihm. Dann jedoch blickte sie zu Paddy, der ein Ächzen hören ließ. »Was ist denn?« fragte sie.
    Paddy starrte auf das Stück Papier, als enthielte es eine Todesnachricht. »Archibald will uns nicht.«
    Wütend schlug Bob

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