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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Gegenwart wurde ihnen offenbar allzu deutlich bewußt, wie laut und wie vulgär ihre Stimmen klangen, und wenn sie mit einem Eßbesteck richtig umgehen sollten, gerieten sie plötzlich in tausend Nöte.
    Sonntags zog sich Fee manchmal ins leere Wohnzimmer zurück und setzte sich an das Spinett beim Fenster. Und dann spielte sie, wenn auch - wegen mangelnder Übung - längst nicht mehr so fingerfertig wie früher. Nur noch mit den einfachsten Stücken wurde sie fertig. Frank saß meist draußen vor dem Fenster, zwischen dem Flieder und den Lilien, und lauschte mit geschlossenen Augen. Fast regelmäßig stieg dann ein ganz bestimmtes Bild vor seinem inneren Blick auf, beinahe so etwas wie eine Vision. In einem langen Kleid mit vielen zartrosa Spitzen saß seine Mutter am Spinett in einem riesigen, wie elfenbeinernen Raum, und rings um sie, auf mächtigen Kerzenhaltern, flackerte Licht. Es war ein Bild, das eine eigentümliche Sehnsucht in ihm weckte: zu weinen - sich auszuweinen. Aber natürlich weinte er nicht mehr; nicht seit jener Nacht, nachdem die Polizei ihn nach Hause gebracht hatte. Meggie legte Hai wieder in die Korbwiege, ging dann zu ihrer Mutter, stand bei ihr. Vielleicht war die unmittelbare Ähnlichkeit zwischen beiden gar nicht so groß. Dennoch ergab sich etwas Verblüffendes. Im Profil des kleinen Mädchens gewahrte man den gleichen Ausdruck von Stolz; und von Empfindsamkeit. Wenn sie einmal erwachsen, wenn sie Frau war, würde sie in ihrer ganzen Art ihrer Mutter wohl sehr ähnlich sein. Und dann? Sollte auch sie verschwendet werden? Vielleicht gleichfalls an einen Tölpel von einem irischen
    Schafscherer? Oder an so einen Hornochsen von einem Melker, der nicht bis drei zählen konnte? Sie war mehr wert, viel mehr, aber sie war nicht zu mehr geboren, und eben darauf kam es an, das sagten alle. Wenn Frank es richtig bedachte: Nach den Erfahrungen, die er von Jahr zu Jahr gesammelt hatte, schienen die Leute recht zu haben - man war, wo man war, und einen Ausweg daraus gab es nicht.
    Fast genau zur selben Sekunde wurden Fee und Meggie gewahr, daß er sie anstarrte, und sie drehten sich beide zu ihm um und lächelten ihn mit jener besonderen Zärtlichkeit an, die Frauen nur für jenen Mann haben, den sie über alles lieben. Frank stellte seine Tasse auf den Tisch und ging hinaus, um die Hunde zu füttern. Und plötzlich wünschte er sich, weinen oder aber morden zu können - wenn das nur den Schmerz vertrieb.
    Drei Tage nachdem Paddy die Archibald-Schurhütte verloren hatte, traf Mary Carsons Brief ein. Paddy war gerade im Postamt in Wahine gewesen; dort hatte man ihm den Brief gegeben, dort hatte er ihn sofort geöffnet. Als er dann zu Hause ankam, hüpfte er wie ein Kind.
    »Wir gehen nach Australien!« rief, nein, schrie er und schwenkte das kostbare Briefpapier.
    Aller Augen richteten sich auf ihn, niemand sprach. In Fees Augen zeigte sich ein Erschrecken, in Meggies Augen auch. Die Jungen hingegen strahlten vor Freude. Nur Franks Blick glich einem heftigen, harten Zucken.
    »Aber, Paddy«, sagte Fee, nachdem sie den Brief gelesen hatte, »wie kommt es, daß sie nach all den Jahren auf einmal an dich denkt? Ihr Geld ist für sie doch nichts Neues und ihre Einsamkeit genausowenig. Ich kann mich wirklich nicht erinnern, daß sie uns schon irgendwann einmal ihre Hilfe angeboten hätte.« »Es scheint, daß sie Angst hat, in Einsamkeit zu sterben«, sagte er, und es klang, als wollte er nicht nur Fee beschwichtigen, sondern auch sich selbst. »Du hast ja gelesen, was sie schreibt: >Ich bin nicht mehr jung, und Du und Deine Söhne, Ihr seid meine Erben. Ich meine, wir sollten einander sehen, bevor ich sterbe, und es wird Zeit, daß Du lernst, Dein Erbe zu verwalten. Ich habe die Absicht, Dich zu meinem Oberviehtreiber zu machen - das ist ein ausgezeichnetes Training, und wer von Deinen Jungen alt genug ist, kann gleichfalls als Viehtreiber arbeiten. Drogheda wird ein Familienunternehmen, das wirklich von der Familie betrieben wird, ohne die Hilfe von Außenstehenden.««
    »Und was ist mit dem Geld, das wir für die Reise nach Australien brauchen?« fragte Fee. »Schreibt sie darüber etwas?« »Nicht im Traum würde es mir einfallen, sie darum zu bitten«, sagte Paddy schroff. »Wir kommen schon nach Australien, ohne daß wir sie ums Reisegeld anbetteln - dafür garantiere ich.« »Ich finde, es wäre nur recht und billig, wenn sie unsere Reise bezahlt«, beharrte Fee, und alle musterten sie verwundert.

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