Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
Vom Netzwerk:
ihr ein Genuß, sich einem ebenbürtigen Verstand gegenüber zu wissen, und wenn es ihr besondere Freude machte, ihn zu überlisten, so deshalb, weil sie nie sicher sein konnte, daß ihr das auch wirklich gelungen war. »Um auf das zurückzukommen, was Sie da über Gilly äußerten«, sagte sie und lehnte sich zurück, »daß es nämlich nicht zu jenen Gefilden gehöre, aus denen der Erzbischof Kandidaten für ein höheres Priesteramt rekrutiere - was, meinen Sie, könnte diesen ehrwürdigen Gentleman dazu bekehren, Gilly sozusagen zum Nabel seiner Welt zu machen?«
    Der Priester lächelte ein wenig gequält. »Ja, was wohl? Womöglich irgendein aufsehenerregendes Ereignis ... die unvermutete Errettung von tausend verloren geglaubten Seelen ... die plötzliche Gabe, die Lahmen und die Blinden zu heilen ... Doch das Zeitalter der Wunder ist vorbei.«
    »Aber, aber ... das möchte ich denn doch bezweifeln! Der Schöpfer, so scheint mir, hat nur seine Methode geändert. Heutzutage bedient er sich des Geldes.«
    »Wie zynisch Sie doch sind! Vielleicht mag ich Sie gerade deshalb so sehr, Mrs. Carson.«
    »Mein Vorname ist Mary. Bitte, nennen Sie mich Mary.« Minnie rollte gerade den Teewagen herein, als Pater de Bricassart sagte: »Danke, Mary.«
    Während sie frische Bannocks und Anchovis auf Toast genossen, erklärte Mary Carson mit einem Seufzer: »Lieber Pater, ich möchte, daß Sie heute morgen besonders intensiv für mich beten.« »Nennen Sie mich Ralph«, sagte er und fuhr dann mit einem scherzhaften Unterton fort: »Ich glaube kaum, daß ich für Sie noch intensiver beten kann, als ich das für gewöhnlich tue - aber ich will es gern versuchen.«
    »Oh, siehe da, der Charmeur! Oder war die Bemerkung eher anzüglich gemeint? Im allgemeinen mag ich’s nicht, wenn dick aufgetragen wird, aber bei Ihnen bin ich nie sicher, ob das nicht Tarnung für etwas Tieferes ist. Ein Köder - wie die Möhre, die man dem Esel vors Maul hält. Was denken Sie eigentlich wirklich von mir, Pater de Bricassart? Nun, ich werde es nie erfahren, weil Sie nie die Taktlosigkeit haben werden, es mir zu sagen, nicht wahr? Faszinierend, faszinierend ... Aber Sie müssen für mich beten. Ich bin alt, und ich habe viel gesündigt.« »Dem Alter entgeht keiner, und gesündigt habe auch ich.« Sie ließ ein leises, knarrendes Lachen hören. »Ich würde viel darum geben zu erfahren, auf welche Weise Sie gesündigt haben. O ja, o ja, das würde ich.« Sie schwieg einen Augenblick, wechselte dann das Thema. »Übrigens bin ich zur Zeit ohne Oberviehtreiber.« »Schon wieder?«
    »Fünf waren’s im vergangenen Jahr. Es wird immer schwerer, einen guten Mann dafür zu finden.«
    »Nun, man erzählt sich, daß Sie nicht gerade eine großzügige oder rücksichtsvolle Dienstherrin sind.«
    »Frechheit aber auch!« sagte sie verdutzt, lachte jedoch. »Wer kaufte Ihnen denn einen nagelneuen Daimler, damit Sie nicht mehr auf ein Pferd angewiesen waren?«
    »Oh, denken Sie aber auch daran, wie intensiv ich für Sie bete!« »Wäre Michael nur halb so voll Witz und Charakter gewesen, so hätte ich ihn vielleicht geliebt«, sagte sie abrupt. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich, wirkte plötzlich boshaft. »Meinen Sie womöglich, daß ich ohne einen einzigen Verwandten auf der Welt dastehe und mein Geld der Mutter Kirche hinterlassen muß ja!?« »Ich habe keine Ahnung«, erwiderte er ruhig und schenkte sich Tee nach.
    »Nun, ich habe Verwandte - einen Bruder mit einer großen
    Familie, mit einem ganzen Haufen Söhne.« »Wie schön für Sie«, sagte er ernst.
    »Als ich heiratete, war ich nicht gerade mit irdischen Gütern gesegnet. Schon früh hatte ich begriffen, daß ich in Irland nie eine gute Partie machen würde. Ein Mädchen, das sich dort einen reichen Mann angeln will, muß aus guter Familie stammen und eine gute Erziehung genossen haben. Also rackerte ich mich ab, bis ich genügend Geld zusammengespart hatte - für die Schiffspassage zu einem Land, wo die reichen Männer nicht so sehr auf Konventionen hielten. Als ich hier ankam, war mein einziges Kapital mein Gesicht, meine Figur und ein besserer Verstand, als man ihn Frauen im allgemeinen zubilligt. Jedenfalls genügte das, um mir Michael Carson zu angeln, der ein reicher Dummkopf war. Bis zu dem Tag, an dem er starb, blieb er in mich vernarrt.«
    »Ihr Bruder«, sagte er, sie wieder auf ihre ursprüngliche Fährte zurückführend, »was ist mit ihm?«
    »Mein Bruder ist elf Jahre jünger als ich,

Weitere Kostenlose Bücher