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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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eines Jackie Howe. Über dreihunderttausend Schafe mußten geschoren werden, bevor die Scherer ihre Siebensachen auf den alten Ford-Laster des sogenannten Contractors laden und sich zur nächsten Schurhütte aufmachen konnten. Zwei Wochen lang war Frank nicht zu Hause gewesen, sondern unterwegs mit dem alten Beerbarrel Pete, einem der Viehtreiber. Mit ihren Reittieren, einer Hundemeute sowie einem Sulky, auf dem sich das Unentbehrlichste an Ausrüstung befand und das von einem störrischen Gaul gezogen wurde, waren sie zu den ganz westlich gelegenen Koppeln aufgebrochen und hatten dann die Schafe immer näher zur Station getrieben, wobei »gesondert und gemerzt« werden mußte, wie man es nannte: eine Auslese nach ganz bestimmten Gesichtspunkten. Es war eine harte und vor allem mühselige Arbeit, gar nicht zu vergleichen mit dem
    wilden Forttreiben der Herden vor der Überschwemmung.
    In der Station gab es für die Tiere einer jeden Koppel jeweils einen eigenen Viehhof. Dort blieben die Schafe, bis sie mit der Schur an der Reihe waren, und konnten weiter nach Art und Qualität ihrer Wolle »sortiert und markiert« werden. Auf jenen Höfen, die unmittelbar zum Schurschuppen gehörten, war immer nur für jeweils zehntausend Schafe Platz. Folglich würde es für die Dauer der Schur ein dauerndes Hin und Her geben: ein ständiges Auswechseln von geschorenen gegen noch ungeschorene Herden. Als Frank zu seiner Mutter in die Küche trat, stand sie neben dem Ausguß und schälte Kartoffeln. »Mum, ich bin wieder da!« sagte er voll Freude. Sie drehte sich zu ihm herum, und er gewahrte, was zwei Wochen zuvor noch nicht zu sehen gewesen war - oder was ihm damals einfach noch nicht aufgefallen war: ihren gewölbten Leib. »O Gott!« sagte er.
    Aus ihren Augen verlor sich die Wiedersehensfreude. Schamröte überzog ihr Gesicht. Mit gespreizten Händen schien sie ihren Leib vor seinen Blicken verbergen zu wollen. »Der dreckige alte Bock!« sagte Frank, vor Empörung zitternd. »So etwas darfst du nicht denken! So etwas darfst du nicht sagen! Du bist jetzt ein Mann, und du solltest verstehen. So wie dies gewesen ist, so war es auch damals, als du gezeugt wurdest, und es verdient genausoviel Achtung. Darin ist nichts Schmutziges. Wenn du Daddy beleidigst, beleidigst du auch mich.«
    »Er hatte kein Recht dazu! Er hätte dich zufrieden lassen sollen!« zischte Frank und fuhr sich mit der Hand über die zitternden Lippen.
    »Es ist nicht schmutzig«, wiederholte sie, und plötzlich wirkten ihre Augen nicht mehr trüb, sondern sehr klar. Der Ausdruck von Scham war wie weggewischt, nicht die geringste Spur blieb zurück. »Es ist nicht schmutzig, Frank. Nicht meine Schwangerschaft und auch nicht der Akt, der dazu geführt hat!« Diesmal war er es, der rot wurde. Rasch drehte er sich um und ging in das Zimmer, das er sich mit Bob, Jack und Hughie teilte. Und plötzlich wirkten die Wände hier so kahl und kalt, erschien ihm alles so lieblos, ohne jeden Hauch von Wärme. Die vier Einzelbetten, das karge Mobiliar, jeder Gegenstand hier, war nicht all das wie Hohn, wie grausamer Spott auf ... worauf? auf wen?
    Er schloß die Augen, doch jetzt sah er in seiner Vorstellung ihr Bild, sah sie - ihr schönes, müdes Gesicht, wie umrahmt von goldenem Gespinst, madonnengleich, doch ihr Leib ... ihr dicker, gleichsam geblähter Leib ... gebläht durch das, was sie und dieser haarige alte Bock in der furchtbaren Hitze des Sommers getan hatten. Er wurde die bedrängenden Gedanken nicht los. Er konnte sie einfach nicht abschütteln. Und immer und immer wieder war da dieses Bild: ihr dicker, wie aufgeschwemmter Bauch, unübersehbarer Beweis ihrer Lust - etwas, das sie mit diesem geilen alten Vieh gewissermaßen verquickte: eine grauenvoll widerwärtige Vorstellung, Gedanken, die sich einfach nicht ertragen lassen wollten. Es verlangte ihn so sehr danach, sie anders zu sehen, ganz anders: als so rein und so unbefleckt wie ... ja, wie die Heilige Jungfrau ... oder die Heilige Mutter ... über allen anderen ihres Geschlechts stehend, die sündig waren und immer wieder wurden.
    Dieses Bild von ihr, dieses makellose Bild, es war so überaus wichtig für ihn, wenn er nicht buchstäblich den Verstand verlieren wollte. Um nicht sein inneres Gleichgewicht zu verlieren, hatte er sich immer und immer wieder eingeredet, daß sie in absoluter Keuschheit bei diesem häßlichen Alten lag, weil sie nun einmal einen Platz zum Schlafen brauchte; hatte versucht, sich

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