Die Dornenvögel
sozusagen an der Peripherie der Familie bewegte, interessierte ihn kaum, auch fühlte er sich nicht bewogen, für den jungen Mann Mitleid zu empfinden. Da war irgend etwas in Frank, das feinere Emotionen abtötete: ein dunkles Herz, ein Gemüt, dem es gleichsam am inneren Licht gebrach. Meggie jedoch ... sie hatte ihn auf eine rätselhafte, auf eine unwiderstehliche Weise gerührt, angerührt, er wußte nicht, wieso und weshalb. Da war die Farbe ihres Haares, die ihm gefiel; da waren die Farbe und die Form ihrer Augen, wie die ihrer Mutter und deshalb schön, doch um so vieles süßer und ausdrucksvoller; und nicht zuletzt war da ihr Wesen, das ihm die gültige, die vollkommene weibliche Wesensart schlechthin zu sein schien: passiv und dennoch ungeheuer stark. Eine Rebellin war sie gewiß nicht, ganz im Gegenteil. Ihr ganzes Leben lang würde sie gehorchen
- würde nie versuchen, den Rahmen dessen zu sprengen, was man ihr weibliches Schicksal nennen mochte. Und doch: All dies konnte die Anziehungskraft, die sie für ihn besaß, keineswegs ganz erklären. Hätte er tiefer in sich hineingeblickt, so wäre ihm vielleicht klargeworden, daß seine Empfindungen für sie das Ergebnis einer ganz bestimmten Konstellation waren, jener von Zeit, Ort und Person.
Da es niemanden zu geben schien, der Meggie wirklich wichtig nahm, blieb für ihn in ihrem Leben ein Platz, konnte er ihrer Liebe sicher sein. So jedenfalls empfand er es unterbewußt. Sie war ein Kind und bildete somit für ihn, den Priester, keine Gefahr; nicht für seine Lebensweise, nicht für seinen Ruf. Sie besaß Schönheit, und er ließ sich gern von Schönheit bezaubern. Und nicht zuletzt füllte sie in seinem Leben eine Leere aus, die sein Gott nicht ausfüllen konnte. Sie füllte sie aus durch ihre Wärme, durch ihr wirkliches Vorhandensein, durch ihre Nähe.
Mit Geschenken konnte er sie nicht gut überhäufen, das hätte die Familie in Verlegenheit gesetzt. Er kompensierte das, indem er einen erstaunlichen Teil seiner Zeit und seiner Gedanken an die Frage verwendete, wie sich ihr Zimmer im Pfarrhaus am schönsten herrichten ließe. Doch er tat dies weniger, um dann ihre Freude darüber zu sehen. Weit wichtiger war es ihm, sein Juwel gleichsam im richtigen Rahmen zu wissen. Einen Diamanten entwürdigt man nicht durch eine schäbige Fassung.
Anfang Mai trafen die Schafscherer auf Drogheda ein. Mary Carson wußte über alles, was auf ihrem Besitz zu geschehen hatte, erstaunlich gut Bescheid. Einige Tage bevor die Schafscherer kamen, bestellte sie Paddy zu sich ins Herrenhaus. Ohne sich von ihrem Ohrensessel zu rühren, instruierte sie ihn bis ins letzte Detail über das, was zu tun war.
Der Vergleich zwischen der Schafschur in Neuseeland und der Schafschur, wie sie offenbar in Australien gehandhabt wurde, hatte Paddy damals bei der Ankunft geradezu fassungslos gemacht: eine riesige Schurhütte mit sechsundzwanzig Ständen, kaum zu glauben! Jetzt, nach dem Gespräch mit seiner Schwester, schwirrte ihm der Kopf, soviel verblüffend Neues hatte er erfahren, an Fakten, an Zahlen. Nicht nur die Drogheda-Schafe sollten auf Drogheda geschoren werden, sondern auch jene von Bugela, von Dibban-Dibban und von Beel-Beel. Was da an Arbeit anfiel für jeden hier, ganz gleich ob Mann oder Frau, schien kaum noch vorstellbar. Gemeinschaftsschur war Brauch, und natürlich würden jene
Stationen, die Droghedas Schurhütte mit ihrer enormen Kapazität mitnutzten, Arbeitskräfte schicken. Doch durch deren Anwesenheit ergab sich automatisch für jene auf Drogheda ein Haufen Arbeit, der sozusagen ganz nebenbei anfiel.
Die Schafscherer würden ihren eigenen Koch mitbringen und sich ihre Lebensmittel im Stationsladen selbst kaufen; doch diese ungeheuren Mengen von Lebensmitteln mußten ja erst einmal aufgetrieben werden. Auch hatte man die etwas baufällig wirkenden Quartiere - inklusive Küche und primitivem Bad - vorzubereiten, und das hieß: schrubben, säubern, Matratzen und Schlafdecken heranschaffen. Nicht alle Stationen waren zu den Schafscherern so großzügig wie Drogheda, doch Drogheda war stolz auf seine Gastlichkeit und auf seinen Ruf als »verdammt gute Schurhütte«. Da es sich um Aktivitäten handelte, an denen Mary Carson ausnahmsweise unmittelbar Anteil nahm, zeigte sie sich keineswegs geizig. Der Schurschuppen war nicht nur einer der größten in ganz Neusüdwales, man brauchte dafür auch die allerbesten Männer, die man bekommen konnte, Männer vom Kaliber
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