Die Dornenvögel
vielleicht etwas zu erfahren gewesen wäre, besaß sie nicht. Durch die Arbeiten, die sie zu verrichten hatte, ohnehin weitgehend ans Haus gefesselt, gelangte sie nur in einen recht begrenzten Umkreis darüber hinaus. Und das, was man mit »sexuelle Aktivitäten« zu bezeichnen hätte, fand sich - erstaunlicherweise sicherlich - hier eigentlich nirgends. Die Tiere auf der Home Paddock waren fast buchstäblich steril. Pferde züchtete Mary Carson nicht, sie kaufte sie von Martin
King von Bugela, der ein Gestüt unterhielt. Falls man Hengste nicht gerade zu Zuchtzwecken brauchte, war es eine wahre Plage mit ihnen. Also gab es auf Drogheda keine. Einen Bullen hingegen gab es zwar, doch war es ein so wildes, ungebändigtes Tier, daß sein Pferch praktisch eine Verbotszone bildete, und Meggie hätte sich vor lauter Angst ohnehin nie näher herangewagt. Die Hunde wurden in Zwingern gehalten, blieben angekettet, und wenn sie sich paarten, so wurde das zur geradezu wissenschaftlich überwachten Prozedur: Paddy und Bob paßten haarscharf auf, und zufällige Zuschauer konnte es daher kaum geben. Was die Schweine betraf, so verabscheute Meggie diese Tiere so sehr, daß sie sie nicht einmal füttern mochte. Sie zu beobachten, hätte sie sowieso nicht die Zeit gehabt. Das einzige, was ihr, wenn man es so nennen wollte, vor Augen kam, waren ihre winzigen Zwillingsbrüder. Doch Unschuld zeugt Unschuld, und Dinge und Vorgänge, die das wache Auge ganz automatisch registriert, sind für den noch unerweckten Körper und Geist ohne jegliche Bedeutung.
Kurz vor ihrem fünfzehnten Geburtstag, die Sommerhitze stieg gerade ihrem alljährlichen Gipfelpunkt entgegen, entdeckte Meggie in ihrem Höschen bräunliche Streifen. Nach ein oder zwei Tagen hörte das zwar auf, aber sechs Wochen später waren wieder Flecken da, und diesmal verwandelte sich Meggies Scham in Schrecken. Zunächst hatte sie gemeint, es handle sich um, nun ja, um Schmutz von ihrem Hinterteil, daher ihre Beschämung. Doch jetzt, beim zweiten Mal, erwiesen sich die Flecken ganz eindeutig als Blut. Woher dieses Blut kam, wußte sie nicht, doch sie nahm an, daß es irgendwie von ihrem Hinterteil stammte. Drei Tage später hörte die leichte Blutung auf, und zwei Monate lang blieb Meggie davon verschont. Daß sie ihre Höschen wusch, fiel niemandem auf, da sie ohnehin immer den Großteil der Wäsche erledigte. Die dritte Blutung war viel stärker als die beiden ersten, und sie brachte auch Schmerzen mit sich.
Heimlich nahm Meggie ein paar alte Windeln, die nicht mehr für die Zwillinge verwendet wurden, und versuchte, sie sich umzubinden, unter ihrem Höschen. Sie hatte Angst, das Blut würde sonst durchdringen.
Ganz von selbst verband sich mit dem, was sie an sich erlebte, der Gedanke an den Tod. Der Tod hatte ihr Hai genommen - wie ein gespenstischer Sturm, der vernichtend hinwegfährt über das Land. Dies jetzt war anders, und es war grauenvoll, ein allmähliches, lang hinausgezogenes Verbluten, Verenden. Wie hätte sie zu Fee oder Paddy gehen können, um ihnen zu sagen, daß sie an einer widerwärtigen, unnennbaren Krankheit litt, an einer unheilbaren Krankheit? Frank wäre der einzige gewesen, dem sie ihr gequältes Herz ausgeschüttet hätte, aber er war weit, weit fort. Beim Tee hatten sich die Frauen so manches Mal über Krebs und Tumore unterhalten, über furchtbare, langdauernde Krankheiten, die bei irgendwelchen Freunden oder Verwandten zum Tode geführt hatten, und Meggie, die sich an diese Geschichten nur zu genau erinnerte, war fest davon überzeugt, daß es ein bösartiges Geschwür sein mußte, das in ihr immer weiter wucherte und sie gleichsam von innen her auffraß -und sie wollte doch nicht sterben!
Ihre Vorstellungen vom Tod und allem, was damit zusammenhing, waren recht verschwommen. Sie wußte nicht einmal, wie man es sich eigentlich zu denken hatte, jenes Leben im Jenseits. Für Meggie war die Religion eher eine Ansammlung von Gesetzen oder Geboten als etwa eine spirituelle Erfahrung.
Also konnte ihr die Religion auch nicht helfen. In ihrem tief verängstigten Gemüt bildeten all die Worte, die sie darüber gehört hatte, einen wilden Wirrwarr: was ihre Eltern sagten und die Bekannten, was Nonnen und Priester sprachen, was aus Gebeten klang. Sie wußte nicht, wie sie ihn sich zu denken hatte, den Tod und das, was danach kommen sollte. Nachts lag sie voll Schrecken wach und versuchte sich vorzustellen, was er wohl war. Ein ewiges Dunkel, oder ein
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