Die Dornenvögel
erleben, rätselhaft, geheimnisvoll, ins Ungeheure vergrößert. Gleichzeitig jedoch half ihr eben ihre Jugend, den Schmerz unter Alltagsereignissen gleichsam zu verschütten, ihn zumindest in
seinen grenzenlos scheinenden Dimensionen zu verringern.
Was die anderen betraf ... Von ihren Brüdern war einzig Bob wohl alt genug, um den Tod des kleinen Hai wirklich als Verlust zu empfinden. Paddy trauerte sehr um seinen dahingegangenen Sohn, doch niemand wußte, ob Fee nun Gram empfand oder nicht. Sie schien sich innerlich immer mehr von Mann und Kindern zu entfernen, schien überhaupt kaum noch irgendwelcher Gefühle fähig zu sein. Um so dankbarer war Paddy dafür, daß Stu sich so um seine Mutter kümmerte und es mit einer so überaus ernsten, fast feierlichen Zärtlichkeit tat.
Nur Paddy wußte, wie Fee ihn angeblickt hatte an jenem Tag, an dem er ohne Frank aus Gilly zurückgekommen war. Dabei war in ihren sanften grauen Augen kein bestimmtes Gefühl abzulesen gewesen, keine Klage und keine Anklage, kein Haß und auch kein Gram. Es war, als hätte sie wie eine zum Tode Verurteilte darauf gewartet, auf das Fallen des Fallbeils, das sich ja doch nicht abwenden ließ.
»Ich wußte, daß er nicht zurückkommen würde«, sagte sie. »Vielleicht kommt er zurück, wenn du ihn ausfindig machst und darum bittest«, meinte Paddy.
Sie schüttelte den Kopf, gab jedoch, wie es nun einmal ihre Art war, keine weitere Erklärung. Sie kannte ihren Sohn gut genug, um zu wissen, daß er auf ein einziges Wort von ihr sofort zurückkehren würde. Doch dieses Wort durfte sie nicht aussprechen, nie. Es war besser, wenn er sich, fern von Drogheda, ein eigenes Leben aufbaute. Und wenn ihr die Tage lang und bitter erschienen, weil sie ihr das Gefühl des Versagens brachten, so mußte sie das ertragen. Paddy war nicht der Mann ihrer Wahl gewesen, und doch hätte sie sich keinen besseren Mann wünschen oder auch nur denken können. Seit fast fünfundzwanzig Jahren hatte sie alles daran gesetzt, Emotionen aus ihrem Leben zu verbannen, und sie war davon überzeugt, daß am Ende ihre Beharrlichkeit siegen würde.
In seinem ewig endlosen Rhythmus ging das Leben weiter, und es mündete, dem Gebot und den Gesetzen dieses Landes gehorchend, gleichsam immer wieder kreisförmig in sich selbst. Im folgenden Sommer gab es Regen, keine peitschenden Monsungüsse, sondern Ausläufer davon. Und der Creek und die Tanks füllten sich auf, die durstigen Graswurzeln saugten sich voll, und der Staub schien wie weggewischt, allerdings nur für kurze Zeit. Die Männer weinten fast vor Freude. Jetzt, das wußten sie, blieb ihnen bei ihrer ohnehin harten Arbeit wenigstens das Füttern vieler Schafe erspart, die Tiere konnten wieder für sich selbst sorgen. Insgesamt hatte das Gras gerade lange genug gereicht, aber das war längst nicht auf allen Stationen im Gillanbone-Distrikt so. Es kam immer darauf an, wieviel Vieh auf wieviel Koppelgelände weidete, und das hing naturgemäß von dem jeweiligen Viehzüchter ab. Im Verhältnis zu seiner Riesengröße gab es auf Drogheda wenig Vieh, was nichts anderes bedeutete, als daß das vorhandene Gras entsprechend länger reichte.
Die hektischste Zeit im »Schafskalender« bildete das Lammen mit allem, was sich daraus ergab. Wochenlang hielt es die Leute in Atem. Jedes neugeborene Lamm mußte eingefangen werden. Sein Schwanz wurde »geringt«, sein Ohr »markiert«. Handelte es sich zudem um ein männliches Tier, das nicht zur Zucht gebraucht wurde, so kastrierte man es. Eine schmutzige, wirklich widerliche Arbeit war das. Bis auf die Haut durchweichte das Blut ihre Kleider, denn um in der kurzen verfügbaren Zeit mit Tausenden und aber Tausenden männlicher Lämmer fertig zu werden, mußten sie sich einer bestimmten Methode bedienen. Die Hoden wurden mit den Fingern hochgequetscht, so daß sie abgebissen und auf den Boden gespuckt werden konnten. Was die Schwänze betraf, so wurden sie bei männlichen wie weiblichen Tieren mit Blechbändern beringt, genauer: abgebunden. Da der abgebundene - untere - Teil des Schwanzes nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt wurde, fiel er nach einer Weile ab, nachdem er zuerst anschwoll und dann gleichsam vertrocknete.
Bei den Schafen handelte es sich um die besten Wollschafe der Welt, gezüchtet in solchen Mengen, wie man das in keinem anderen Land kannte, und das bei einem Mindestaufgebot menschlicher Arbeitskraft - man hätte viel mehr Leute gebrauchen können. Alles, was man tat,
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