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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Abgrund voller Flammen, über den sie hinwegspringen mußte, um zu den goldenen Gefilden auf der anderen Seite zu gelangen, oder eine Art Gewölbe, ähnlich dem Inneren einer gigantischen Kugel, wo jubelnde Chöre ertönten und durch farbige Fenster wundersames Licht einfiel.
    Sehr still war sie jetzt meist, doch war diese Stille grundverschieden von Stuarts verträumter, friedvoll-ruhiger Art. Ihre Stille war eher eine Starre: das Erstarrt sein der in die Enge gejagten Kreatur vor dem grausamen, alles durchbohrenden Basiliskenblick. Sprach jemand sie überraschend an, so fuhr sie entsetzt zusammen. Hörte sie die klagenden Stimmen der Zwillinge, so wußte sie sich vor lauter Zerknirschung kaum zu lassen, weil sie sich selbst vorwarf, die Kleinen schändlich vernachlässigt zu haben. Und wann immer ihre Zeit das zuließ, lief sie zum Friedhof, zu ihrem toten Hai. Daß in ihr eine Veränderung vor sich gegangen war, entging keinem, aber man nahm es als das, was es zu sein schien - ein Teil ihrer Entwicklung, ihres Erwachsenwerdens. Ihre innere Not verstand sie gut zu verbergen. Sie hatte ihre Lektionen beizeiten gelernt und inzwischen auch nicht wieder vergessen. Ihre Selbstbeherrschung war phänomenal, ihr Stolz kaum zu übertreffen. Niemand durfte je wissen, was in ihr vorging. Gleichgültig, was geschah, die Fassade mußte makellos bleiben. Hatte sie nicht genügend Beispiele vor Augen gehabt und hatte sie zum Teil noch? Fee und Frank und Stuart. Und sie war vom gleichen Fleisch und Blut, also war es doch Teil ihrer ererbten Natur, oder nicht?
    Bei seinen häufigen Besuchen auf Drogheda gewahrte auch Pater Ralph sehr wohl die Veränderung, die in Meggie vor sich ging, und in seinen Augen handelte es sich keineswegs um etwas, das als normale Entwicklung zu akzeptieren oder gar zu wünschen war. All ihre Vitalität schien erstickt, und seine
    Sorge um sie wuchs und schlug um in Angst. Sollte aus ihr etwa eine zweite Fiona werden? Würde es sich auch hier vollziehen, die sinnlose Vergeudung von Kostbarem?
    Ihr kleines, jetzt fast spitzes Gesicht schien nur noch aus Augen zu bestehen, und diese Augen waren gleichsam starr fixiert auf einen wie unabwendbaren, namenlosen Schrecken. Immer durchsichtiger wirkte die helle Haut, die völlig ohne Sommersprossen und wohl auch ohne Pigmente war, denn sie nahm so gut wie keine Sonnenbräune an. Wenn das so weiterging mit den immer größer werdenden Augen, dachte der Pater, dann würde Meggie eines Tages noch, gleich einer Schlange, die ihren Schwanz verschluckt, in ihren eigenen Augen verschwinden, ein kaum noch wahrnehmbares glasgraues Glänzen, das durch das Universum trieb. Jedenfalls, so schwor er sich, muß ich herausfinden, was sie so verändert hat, was ihr so zusetzt. Ja, ich muß es herausfinden, koste es, was es wolle.
    Mary Carson war in diesen Tagen schwieriger und vor allem fordernder denn je. Auf jede Minute, ja, jede Sekunde, die er im Haus der Clearys zubrachte, schien sie eifersüchtig zu sein, und es brauchte schon die unendliche Geduld eines Mannes, der sein Ziel, und sei es über noch so viele Umwege, unbeirrbar im Auge hat, um nichts spürbar werden zu lassen von jenem Aufbegehren, das manchmal denn doch recht nachdrücklich Platz greifen wollte. Allerdings besaß, von seiner Sorge um Meggies Wohlergehen einmal ganz abgesehen, das eigentümliche Spiel mit Mary Carson einen ganz besonderen Reiz für ihn. Er genoß es, die unverkennbare Wirkung zu beobachten, die er auf eine so giftige und gallige alte Frau ausübte. Auch an diesem Tag war das nicht anders. Mit der kalten Grausamkeit einer Katze trieb er sein verschlagenes Spiel mit dieser eingebildeten, herrischen Frau, machte sie zum Narren, ohne daß sie es richtig merkte, behielt die Oberhand über sie. Oh, wie sehr er das liebte! Und nie, nie würde die alte Spinne über ihn triumphieren! Endlich gelang es ihm, auf leidlich diplomatische Weise von Mary Carson loszukommen. Er hielt nach Meggie Ausschau und fand sie schließlich, zu seiner leisen Verwunderung, auf dem Friedhof. Vor jenem Grabmal stand sie, das von einem bleichen, unkriegerischen Racheengel gekrönt wurde. Sie starrte empor zu dem rührseligfriedvollen Gesicht, dessen Ausdruck in krassem Gegensatz stand zu der nackten Furcht in ihren eigenen Zügen. Der mit Händen zu greifende Kontrast zwischen einem fühlenden Wesen und unbelebter Materie, dachte er.
    Aber was suchte er, Ralph de Bricassart, eigentlich hier? Rannte aufgeregt wie eine

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