Die Dornenvögel
zielte darauf ab, die höchstmögliche, ja die perfekte Wollqualität zu gewährleisten. Die Hinterseite der Schafe beispielsweise, wo die Wolle durch Exkremente und anderes verdorben war, mußte rasiert, das heißt kurzgeschoren werden. Die Wollklunkern, wie sie genannt wurden, hatte man gründlich zu beseitigen. Es handelte sich um eine relativ einfache Schurarbeit, allerdings um eine recht wenig angenehme, um einen buchstäblich sehr stinkenden Job, mit einer Fliegenplage ohnegleichen. Deshalb wurde er auch besser bezahlt. Dann gab es das, was man »dippen« nannte: das Besprühen der Tiere mit einer desinfizierenden und insektentötenden Lösung. Tausende und aber Tausende blökender, hüpfender Schafe wurden durch Laufgänge gejagt, hindurch durch sprühendes Phenyl, das sie von Zecken, Ungeziefer, Krankheitskeimen befreite. Dann das »Drenching« : Mit einer Art Riesenspritze, die den Tieren gewaltsam in die Kehle gerammt werden mußte, applizierte man ihnen Medizin, mit deren Hilfe man ihre Eingeweideparasiten bekämpfte. Nein, die Arbeit mit den Schafen hörte niemals, niemals auf. Sie wurden geprüft und klassifiziert, von einer Koppel zur anderen getrieben, geschoren und »rasiert«, gedippt und gedrencht, geschlachtet und zum Verkauf abtransportiert. Außer seinen Schafen hatte Drogheda auch noch rund tausend erstklassige Rinder, doch Schafe waren bei weitem profitabler. Daher kam in Drogheda in guten Zeiten auf jeweils ein Hektar etwas mehr als ein Schaf, was summa summarum 125000 Stück machte. Da es sich um Merinos handelte, wurden sie nie ihres Fleisches wegen verkauft. Waren ihre guten »Wolljahre« zu Ende, so transportierte man sie ab, und sie verwandelten sich gleichsam zum Schluß noch in Felle, Lanolin, Talg und Leim, von Nutzen nur noch für Gerbereien und Abdeckereien.
Kein Wunder daher, daß die Klassiker der sogenannten Buschliteratur für die Menschen hier viel Bedeutung besaßen. Die Clearys jedenfalls, immer schon Leseratten sondergleichen, isolierten sich geradezu von ihrer Umwelt, um sich ganz der Magie des geschriebenen Wortes hinzugeben. Allerdings: Anders als in Wahine gab es hier keine Leihbücherei in der Nähe, man konnte nicht allwöchentlich einen Abstecher zur Stadt machen, um Post und Zeitungen und einen frischen Stapel Bibliotheksbücher zu holen. Zum Glück war da Pater Ralph, der in die Bresche sprang. Er plünderte die Bibliothek von Gillanbone, seine eigene und auch die Regale im Kloster. Bevor er sich recht versah, hatte er zu seiner eigenen Verwunderung so etwas wie eine Wanderbücherei in Bewegung gesetzt, die via Bluey Williams und seinen Postlaster zirkulierte - rundum durch den Busch. Blueys Wagen war stets mit Büchern beladen, zerlesenen, wenn nicht gar zerfledderten Bänden, welche die Strecke zwischen Drogheda und Bugela, Dibban-Dibban und Braich y Pwll, Cunna mutta und Each-Uisge zurücklegten, dankbar willkommen geheißen von Gemütern, die ausgehungert waren nach Abwechslung, nach Nahrung für Geist und Phantasie. Bücher mit heißgeliebten Geschichten wurden nur mit allergrößtem Widerstreben zurückgegeben, doch Pater Ralph und die Nonnen führten sorgfältig darüber Buch, welche Bände wo am längsten blieben, und dann bestellte Pater Ralph über das Nachrichtenbüro von Gillanbone jeweils weitere Exemplare, wobei sich die Kostenfrage insofern regelte, als er die jeweiligen Summen von Mary Carson übernehmen ließ: Schenkungen für die »Heilig Kreuz Busch Bücher
Gesellschaft«. Es waren jene Zeiten, in denen ein keuscher Kuß in einem Buch gleichsam das höchste der Gefühle war, in denen keinerlei erotische Passagen die Sinne kitzelten, so daß die Demarkationslinie zwischen jenen Büchern für Erwachsene und solchen für ältere Kinder weniger scharf gezogen war. Daher brauchte es ein Mann in Paddys Alter keineswegs für unter seiner Würde zu halten, wenn ihm eben jene Bücher am besten gefielen, die auch seine Kinder am heißesten liebten: »Dot und das Känguruh«, die »Billabong«-Serie über Jim und Norah und Wally, Mrs. Aeneas Gunns unsterbliches » Wir vom Niemals-Niemals«. Abends in der Küche lösten sie einander ab beim Vorlesen der Gedichte von Banjo Paterson und C. J. Dennis. Gespannt verfolgten sie den abenteuerlichen Ritt, den »Der Mann vom Snowy River« bestehen mußte; oder »Der sentimentale Bursche« und seine Doreen brachten sie zum Lachen; oder sie wischten sich eine verstohlene Träne fort, die John O’Haras »Lachender
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