Die Dornenvögel
erzählten, spottete oft jeder Beschreibung. Da waren Geschichten von Männern, von denen sie angeblich mißbraucht worden waren, nicht nur als Frauen schlechthin, sondern sozusagen in jedem Winkel ihres Körpers. Da gab es Schilderungen von verbotenen Spielen mit anderen Frauen, von wilder Wollust und von Ehebruch, und ein- oder zweimal auch zu höchster Raffinesse gesteigerte, sehr detaillierte Beschreibungen von sexuellen Verhältnissen mit Priestern, gleichsam der Gipfelpunkt dieser Art von erotischen Phantasien. Ungerührt hatte er zugehört, und wenn er überhaupt etwas dabei empfand, so einen Hauch von Verachtung, gemischt mit Übelkeit. Schließlich war er im Seminar auf dergleichen vorbereitet worden, und Lektionen solcher Art brauchte man einem Mann wie ihm nicht erst lange einzubleuen. Doch keine einzige dieser Frauen und kein einziges dieser Mädchen hatte jemals jenen Vorgang in ihrem Körper erwähnt, der sie vom anderen Geschlecht so unverkennbar unterschied - und wohl auch irgendwie erniedrigte. So konnte es kaum wundernehmen, daß sein Gesicht zu glühen begonnen hatte. Er drehte den Kopf zur Seite, von Meggie fort - Pater de Bricassart durchlebte die Peinlichkeit seines ersten, und dabei sozusagen schrankenlosen Errötens, und mußte damit erst einmal fertig werden.
Meggie half er damit allerdings nicht, das war ihm nur zu klar. Und als die brennende Röte abgeklungen zu sein schien, stand er auf, hob Meggie hoch und setzte sie auf einen flachen Marmorsockel, so daß ihr und sein Gesicht sich in gleicher Höhe befanden. »Meggie, sieh mich an. Nein - sieh mich an!«
Sie hob den gehetzten Blick und sah, daß er lächelte. Sofort spürte sie eine ungeheure Erleichterung. So würde er niemals lächeln, wenn er fürchtete, daß sie sterben mußte. Wieviel sie ihm bedeutete, wußte sie ja. Er hatte es ihr oft gezeigt.
»Meggie, du stirbst nicht, und du hast keinen Krebs. Eigentlich ist es wohl nicht meine Sache, dir zu erklären, was es damit auf sich hat, aber es ist wohl besser, wenn ich es tue. Deine Mutter hätte es dir schon vor Jahren sagen und dich vorbereiten müssen. Warum sie es nicht getan hat, begreife ich einfach nicht.«
Er blickte zu dem Marmorengel und lachte leise. »Lieber Heiland! Was du mir nicht so alles aufträgst!« Dann, wieder Meggie zugewandt: »Wenn du einmal älter sein wirst und mehr Lebenserfahrung besitzt, wird dir die Erinnerung an den heutigen Tag vielleicht einen Augenblick peinlich sein. Doch ein solches Gefühl - etwa gar Scham - solltest du nie damit verbinden. Es gibt nichts, überhaupt nichts, was für dich peinlich oder beschämend sein müßte. Hierbei - wie bei allem, was ich tue - bin ich nur ein Werkzeug unseres Herrgotts. Das ist meine einzige Funktion auf dieser Erde, und eine andere kann es für mich auch nicht geben. Du warst sehr verängstigt, du brauchtest Hilfe, und diese Hilfe hat dir der Herrgott in meiner Person geschickt. Einzig daran erinnere dich, Meggie. Ich bin ein Priester unseres Herrn, und ich spreche in seinem Namen. Was bei dir geschieht, Meggie, geschieht bei allen Frauen. Einmal im Monat scheidest du für mehrere Tage Blut aus. Das beginnt meist, wenn ein Mädchen so zwölf oder dreizehn Jahre alt ist. Wie alt bist du denn - bist du überhaupt schon so alt?« »Ich bin fünfzehn, Pater.«
»Fünfzehn? Du?« Er schüttelte den Kopf, schien ihr nicht recht zu glauben. »Nun ja, wenn du’s sagst, muß es ja so sein. Aber dann hat das bei dir später angefangen als bei den meisten Mädchen. Und das geht so weiter, jeden Monat, bis du ungefähr fünfzig Jahre alt bist. Bei manchen Frauen kommt es mit der gleichen Regelmäßigkeit, mit der der Mond zu- und abnimmt, bei anderen ist es ziemlich unregelmäßig. Für einige Frauen ist es überhaupt nicht mit Schmerzen verbunden, andere leiden sehr stark darunter. Wie es kommt, daß es da solche Unterschiede gibt, weiß niemand. Jedenfalls ist es ein Zeichen dafür, daß du reif bist, wenn du jeden Monat Blut ausscheidest. Weißt du, was >reif< bedeutet?« »Natürlich, Pater! Es bedeutet, daß ich erwachsen bin.« »Gut, Meggie, gut. Und solange du Blutungen bekommst, kannst du auch Kinder haben. Die Blutungen gehören mit zu dem, was man den Kreis der Zeugung nennen kann. Es heißt, daß Eva in den Tagen vor dem Sündenfall nicht menstruierte. Das richtige Wort dafür ist Menstruation, das Zeitwort ist menstruieren. Aber als Adam und Eva das Paradies verlassen mußten, strafte der Herr das
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