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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Glucke umher, um ein verlorenes Küken wiederzufinden. Nun ja. War das wirklich seine Sache? War das nicht zunächst einmal Aufgabe der Eltern? Und hatten nicht auch sie als erste die Pflicht, der Sache auf den Grund zu gehen, herauszufinden, was ihre Tochter bedrückte, und dann möglichst Abhilfe zu schaffen? Doch offenbar war ihnen an ihr nichts Besonderes aufgefallen. Wieso eigentlich nicht?
    Die Antwort darauf ergab sich fast von selbst. Weil Meggie ihnen nicht in dem Maße wichtig war wie ihm. Bei weitem nicht! Er konnte es nicht ertragen, sie unglücklich zu sehen. Dennoch schrak er zurück. Er war zwar ein Priester, und so kam es ihm zu, jedem zu helfen, der seine Hilfe brauchte. Doch ihm war nur allzusehr bewußt, daß er sich ihr von Mal zu Mal enger und untrennbarer verband. Eben dies lag in ihm im Widerstreit: der ganz natürliche Drang des Priesters, einem Menschen in Not zu helfen, und die Furcht, für einen anderen Menschen ebenso unentbehrlich zu werden wie dieser andere Mensch für ihn.
    Als sie seine Schritte hinter sich hörte, drehte sie sich zu ihm um. Sie wartete, wortlos, und dann saßen beide nebeneinander, noch immer schweigend. Aber, dachte er, ich muß sofort zur Sache kommen, denn wenn ich ihr dafür Zeit lasse, wird sie
    versuchen, mir auszuweichen.
    »Was ist los, Meggie?« »Nichts, Pater.« »Das nehme ich dir nicht ab.« »Bitte, Pater, bitte! Ich kann es dir nicht sagen!« »Oh, Meggie! Hast du denn so wenig Vertrauen? Du kannst mir alles sagen. Ich bin ein Priester, vergiß das nicht. Ich bin dazu da, daß man mir alles sagen kann. Hier, an diesem Ort und an dieser Stelle, vertrete ich jetzt auf Erden unseren Herrgott. Das ist mein Amt und meine Aufgabe als Priester. In seinem Namen höre ich, was mir gesagt wird, und in seinem Namen vergebe ich auch. Und, Meggie, glaube mir, es gibt nichts in Gottes Welt, das er - und in seinem Namen ich - nicht vergeben kann. Du mußt mir sagen, was los ist, mein Liebes, denn wenn es jemanden gibt, der dir helfen kann, dann bin ich das. Solange ich lebe, werde ich versuchen, dir zu helfen, über dich zu wachen. Als so eine Art Schutzengel, wenn du willst - jedenfalls nützlicher als der dort oben aus Marmor.« Er atmete tief, beugte sich dann vor. »Meggie, wenn du mich liebhast, dann sag’s mir! Sag, was dir so zusetzt!«
    Ihre Hände verkrampften sich ineinander. »Pater, ich sterbe! Ich habe Krebs!«
    Zuerst überkam ihn der wilde Drang, laut aufzulachen, vor Erleichterung, vor Erlösung. Aber dann betrachtete er ihre blasse, leicht bläuliche Haut, das überaus spitze Gesicht, die dünnen Arme, und ... Nein, aus dem Nichts heraus würde Meggie so etwas kaum behaupten. Sie mußte irgendeinen triftigen Grund für ihre Ängste haben. Und plötzlich spürte er, wie ihn Furcht anfiel. »Woher willst du das wissen, teures Herz?«
    Lange blieb sie stumm, und als sie dann zu sprechen begann, klang ihre Stimme so leise, daß er sich vorbeugen mußte, dicht zu Meggies Kopf, um alles zu verstehen. In unbewußter Parodie nahm er dabei die Beichtvaterhaltung ein: mit einer Hand sein Gesicht gegen ihre Augen abschirmend, das Ohr dem bekenntnisbereiten Mund des Beichtkindes zugewandt.
    »Ein halbes Jahr ist es jetzt her, Pater, seit es angefangen hat. Ich habe dann solche Schmerzen im Bauch, aber nicht wie bei einem Gallenanfall, und - oh, Pater! - da läuft auch soviel Blut raus ... aus meinem Hintern!«
    Er reagierte, wie er im Beichtstuhl noch nie reagiert hatte: Er zuckte unwillkürlich zurück. Dann starrte er auf ihren in Scham gesenkten Kopf, und die Empfindungen, die ihn ganz buchstäblich durchjagten, bildeten ein so wirres Gemisch, daß er seine Fassung nicht so rasch wiedergewann.
    Da war eine unendliche Erleichterung, die ihn erfüllte, und ein so riesengroßer Zorn auf Fee, er hätte sie töten können, und eine tiefe Bewunderung für dieses Mädchen, das eine solche Last so tapfer getragen hatte. Und schließlich und endlich das alles durchdringende Gefühl von Peinlichkeit.
    Denn er war genauso ein Kind und ein Gefangener seiner Zeit wie sie. In allen Städten, die er als Priester kennengelernt hatte - von Dublin bis Gillanbone - , waren Frauen von jenem billigen Schlag gewesen, die zur Beichte kamen, um ihm, dem Priester, ihre wilden Phantasien zuzuflüstern, die sie als tatsächliche Ereignisse ausgaben. Diesen Frauen ging es nur darum, ihn als Mann zu erregen. Und sie wußten doch, daß eben dies nicht in ihrer Macht stand. Was sie ihm

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