Die Drachen Der Tinkerfarm
betrachtet.«
Das stimmte. Obwohl sie nicht alle miteinander verbunden waren, schienen sich die auf dem Plan eingezeichneten Gebäude aus einer Leerstelle im Zentrum des Grundstücksherauszudrehen. Die Formen der einzelnen Gebäude waren schon recht absonderlich, und das durch den Brand gerissene Loch verschleierte die Figur noch zusätzlich, so dass sie Tyler beim Herumgehen auf dem Gelände gar nicht aufgefallen war, aber hier auf dem Papier war sie deutlich zu erkennen.
»Aber warum?«, fragte Lucinda. »Warum macht jemand so was?«
»Weil Octavio Tinker ein Megahirni war, nehme ich an.« Da war noch etwas, das ihn stutzig machte, aber er bekam es nicht zu fassen, etwas, das fehlte, wie ein Geräusch, das man erst bemerkt, wenn es aufgehört hat. »Dieses Zeug in seinem Tagebuch liest sich, als käme es direkt aus dem Strategiehandbuch für Ultimate Scroll II.«
»Wo ist dieser Gruselbau?« Lucinda kaute ihre Unterlippe. »Wenn das da drüben der Reptilienstall ist und das hier die Vorderseite des Hauses, dann müsste der Gruselbau genau … hier sein.« Sie legte ihren Finger in die Mitte des freigelassenen Bereichs, der leeren Nabe, um die sich die Gebäude zu drehen schienen.
Tyler bekam große Augen. »He, du hast recht. Lucinda, du hast recht!« Der »Gruselbau«, wie seine Schwester es nannte, war das große, unbenutzte, fensterlose Gebäude, an dem sie bei ihrer Ankunft auf der Farm vorbeigekommen waren, ein merkwürdiges Ding, das aussah wie ein Spukhaus aus einem Film: uralte graue Bretter und ein dickes Rohr, das schräg daran herunterlief und wie der Stechrüssel einer Riesenmücke aussah. »Aber dieser Stall oder was es sein mag sieht aus, als gäbe es ihn schon wesentlich länger als seit 1963 … Warum ist er dann nicht auf dem Plan?«
»Es ist kein Stall«, sagte Lucinda und beugte sich vor, um die Zeichnung genauer zu betrachten. »Weiß du nicht mehr? Sie haben es uns gesagt.« Sie überlegte angestrengt. »Es ist …wie war das noch mal? Ja, richtig, ein Getreidesilo. Aber da die meisten Tiere hier kein Getreide fressen, hat Onkel Gideon keine Verwendung dafür.«
»Heißt das, es steht schon ewig hier?« Er schaute den leeren Fleck auf der Flurkarte an. »Dann müsste es hier auf dem Plan sein. Ist es aber nicht. Demnach muss es erst später gebaut worden sein – aber das ist doch komisch. Kein Mensch baut sich ein Silo, um es dann leerstehen zu lassen …« Er verstummte. »O Lucinda – Silo! S-I-L-O!«
»Na und? Was ist daran so …« Da begriff sie. »O Gott. OLIS.«
»Genau! Das ist SILO rückwärts!« Tyler lachte über den Zufall, durch den sie darauf gekommen waren. »Ich wette mein komplettes Taschengeld für den Rest meines Lebens, dass irgendetwas in diesem Spiegel uns eine Botschaft übermitteln will. Und die Botschaft lautet: ›Schaut im Silo!‹«
Lucinda konnte ihn gerade noch davon abhalten, sofort loszuziehen und das Ding in Augenschein zu nehmen. Er fühlte sich wie ein kleiner Junge, der früh ins Bett geschickt wird, als sie ihn an das Schwarzhörnchen erinnerte, aber er musste zugeben, dass sie recht hatte: Das war ein Hindernis. Ihm kam der Gedanke, dass Lucinda an seiner Stelle dem Geheimnis nachgehen konnte, doch sie lehnte ab, bevor er ihn auch nur ausgesprochen hatte.
»Vergiss es. Ich werde nicht in so ein dämliches Silo einsteigen, wo es spukt«, erklärte sie sehr bestimmt.
»Wenn du von Geistern getötet werden willst oder von umstürzenden Landmaschinen oder … oder sonst was, dann geh selbst.«
In dieser Nacht lag Tyler stundenlang wach im Bett und überlegte hin und her, wie er das schnüffelnde Hörnchen reinlegen konnte. Erst in der langen, stillen Stunde nach Mitternacht fiel es ihm ein – etwas, das er in einem Schuppen hinter dem Haus gesehen hatte. Als er endlich einschlief, träumte er von Gebäuden und Leuten aus Papier, die von einem um sich greifenden Feuer bedroht wurden.
Den ganzen nächsten Tag konnte Tyler sich kaum auf etwas konzentrieren, weil er innerlich so intensiv mit seinem Vorhaben beschäftigt war, dass Ragnar und sogar der schüchterne Haneb ihn schließlich anschrien, er solle gefälligst aufpassen. Er platzte schier vor Ungeduld, weil er bis zum Dunkelwerden warten musste, um loszulegen, aber nachdem die Arbeiten des Tages erledigt waren, ging er erst einmal auf sein Zimmer und ließ sich aufs Bett fallen. Im Zimmer hing die Nachmittagshitze, und er schlief augenblicklich ein. Er wurde von Lucindas Klopfen
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