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Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Termin bei einem auf Erbschaftsangelegenheiten spezialisierten Staranwalt in Mailand hätten und schon am Abend vorher abreisen würden.
    »Dann muß ich Minh halt doch mitnehmen«, hatte Catia den Sgreccias ein wenig vorwurfsvoll geantwortet, überlegte es sich dann aber doch anders und fragte bei ihrem Vater nach, obwohl sie wußte, daß es ihm bei aller Liebe für Minh nicht passen würde. Erst vor kurzem und immerhin drei Jahre nachdem sie sich nähergekommen waren, war Matteo Vannoni bei Antonietta Lucarelli eingezogen. Natürlich hatte das im Dorf für einiges Aufsehen gesorgt. Schließlich hatte vor mehr als zwanzig Jahren Antoniettas Mann ein Verhältnis mit Vannonis Frau gehabt. Insgeheim neigte man dazu, die neue Liebe als späte Rache gegenüber den toten Expartnern anzusehen, doch beeinflußt durch diverse Fernsehserien, die solche Verstrickungen als alltäglich und zeitgemäß darstellten, wagte man es kaum, öffentlich darüber zu lästern.
    Anders stellte sich die Situation im Hause Lucarelli dar. Tag für Tag hatte Vannoni gegen den passiven Widerstand von Antoniettas Töchtern und vor allem gegen die unverhohlene Feindschaft von Antoniettas Schwiegermutter anzukämpfen. Zäh verteidigte sie jeden Zentimeter gegen den Eindringling, indem sie das Haus mit Fotos ihrestoten Sohns, mit Erinnerungsstücken und Privataltären übersäte. Keinesfalls würde sie akzeptieren, daß Matteo Vannoni auch noch seinen Enkel einschleppte. Dennoch sagte Matteo nach Absprache mit Antonietta zu, auf Minh aufzupassen.
    Als der Junge am Sonntag um 9 Uhr noch nicht bei ihm eingetroffen war, machte sich Matteo Vannoni auf die Suche. Sein Häuschen, in dem jetzt nur noch Catia mit Minh wohnte, war verschlossen, Catia offensichtlich schon abgereist. Auf der Piazzetta vor der Kirche traf Vannoni Elena Sgreccia, die ihr letztes Gespräch mit Catia noch im Ohr hatte und ihm versicherte, daß Catia den Jungen mitgenommen habe.
    »Das hätte sie mir ja auch sagen können«, brummte Vannoni.
    »Du kennst doch deine Tochter«, sagte Elena. »Wahrscheinlich hat sie nicht einmal daran gedacht, ihn in der Schule krank zu melden.«
    Vannoni versprach, das am Montagmorgen zu erledigen. Er hatte keinen Grund, an Elenas Aussage zu zweifeln, und wenn er ehrlich war, fühlte er sich sogar ein wenig erleichtert, dem Konflikt mit der Lucarelli-Sippe aus dem Weg gehen zu können.
    Catia versuchte am Sonntagabend und – nach einer Bootstour zu den Tremiti-Inseln – ab Montagnachmittag mehrfach, bei den Lucarellis anzurufen, um ihren Sohn zu sprechen, kam aber nie durch, da Antoniettas Töchter ausdauernd im Internet surften. In der Nacht von Montag auf Dienstag wurde Catia von unerklärlichen Ahnungen gepeinigt, die ihr den Schlaf raubten. Sie wies sich selbst zurecht, schalt sich wegen ihrer Unfähigkeit, mal loszulassen, und unterdrückte bewußt ihr Bedürfnis, mitten in der Nacht anzurufen. Um 6 Uhr hielt sie es nicht mehr aus. Sie ließ das Telefon so lange klingeln, bis sich Matteo Vannoni schlaftrunken meldete. Ein paar Minuten später mobilisierte er alles, was zwei Beine hatte.
    Da waren fast achtundvierzig Stunden vergangen, seit Minh das letzte Mal gesehen worden war. Zwei Tage und zwei Nächte, in denen jeder seinem Alltag nachgegangen war. Man hatte mit Anwälten verhandelt, gearbeitet, gekocht, gegessen, geschlafen. Man hatte über Politik gestritten und übers unbeständige Wetter geklagt, für das der Ponente verantwortlich war, der die atlantischen Störungen bis nach Italien wirken ließ. Zwei Tage und zwei Nächte hatte man an alles mögliche gedacht, doch niemand hatte den Jungen vermißt.
    Catia und Milena Angiolini setzten sich sofort ins Auto, hielten nur einmal auf der Höhe von Pescara zum Tanken und fuhren am Mittag in Montesecco ein. Die ersten Suchtrupps kamen gerade zurück. Sie hatten zuerst das Dorf durchkämmt, jedes Haus, jeden Hühnerstall, jedes in den Fels geschlagene Kellerloch, und dann waren sie ausgeschwärmt, hatten die Bauern der Umgebung befragt, Luigis Schafstall durchfilzt und die Spürhunde von Pellegrini in größer werdenden Kreisen ums Dorf gejagt.
    »Nichts«, sagte Elena Sgreccia. »Es ist, als wäre der Junge vom Erdboden verschluckt.«
    Catia war bleich. Um ihre Augen lagen dunkle Ringe.
    »Hat jemand die Polizei verständigt?« fragte Milena Angiolini.
    Matteo Vannoni nickte. Zwei Polizisten waren dagewesen. Sie hatten ein Foto Minhs mitgenommen, aber nicht den Eindruck erweckt, der Sache

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